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Marcella Sanden – Mädchenlieder aus dem Quartier Latin

Gedichte

Marcella Sanden, Mädchenlieder aus dem Quartier Latin, Bruno Volger Verlagsbuchhandlung, Leipzig-Gohlis, 1907
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Motto:

Anfangs wollt' ich fast verzagen
Und ich glaubt', ich trüg' es nie;
Und ich hab' es doch getragen, –
Aber fragt mich nur nicht: wie?

(Heine.)


Der Ruhm Thymians und Paulinens läßt mich nicht schlafen.
Auch ich bin eine von dem durch alle Kulturstaaten verbreiteten Schwesternorden, der da sterben muss, wenn er nicht liebt.
Auch ich entstamme einem angesehenen, wohlhabenden Hause, in dem Geselligkeit und Kunst gepflegt wurden, und genoss eine vorzügliche Erziehung.
Meine Eltern leben noch, aber sie kennen mich nicht mehr, und ich gedenke ihrer in Wehmut und Reue.
Unbewacht umschmeichelte Schönheit, eigene Gefallsucht und die kitzelnd beredte Verführungskraft fremder Ruchlosigkeit zeichneten mir den Weg vor, den ich seit nun fünf Jahren wandele, gesellschaftlich verdammt und verfemt, ein gefeierter Stern am schwülen Himmel der Berliner Lebewelt, eine Königin der Nacht, herzkrank mit lachendem Munde.
Als junges dummes Ding schon machte ich in ihrer Art vielleicht recht lesbare Verse, und das ist das Einzige, was mir treu blieb in den Irrungen meines innerlich erstorbenen Flitterdaseins. O Gott, wie oft hab ich geweint über diese unschuldigen Kundgebungen jugendlichen Sehnens und Hoffens, und doch konnte ich lächeln, als ich sie neulich verbrannte, weil sie garnicht mehr passen wollten zu dem, was ich jetzt fühle und denke, weil mir niemand glauben würde, daß die böse Marcella identisch mit der Gärtnerin jener madonnenkeuschen gebetsfrommen Liederblüten sei, weil sie wert- und zwecklos geworden sind.
Meine sonnige Kindheit ist tot, und die Blumen, die ich auf ihr Grab pflanzte, heißen Unschuld und Glück. –
Das Reimen aber hab ich nicht lassen können, und wenn die poetischen Gedanken, die mich zuweilen fast erdrückend überkamen, auch im Taumel und Trubel, in der wilden Verzweiflung der ersten Jahre meines unfreiwilligen Priesterinnentums nur schnell und spurlos verklingende Melodien waren, – vor einiger Zeit (die lebenswahren Tagebücher einer »Verlorenen« und einer »anderen Verlorenen« und last not least das wunderbar feine und tiefe Büchlein von Hildegard Hagen wurden die Veranlassung dazu!) begann ich mit gelegentlicher Niederschrift dessen, was mich in stillen Stunden beschäftigt und die einsame Öde der Erinnerung ausfüllt und belebt.
Ich bin zu stolz, mir einen literarischen Vormund zu erbetteln, der mich wohl gar zu seinem Nutz und Frommen ausbeutet, und ich bin gewöhnt körperlich für mich einzutreten, weshalb soll ich es seelisch nicht auch tun?
Wer unter die Menge will, muß sich preisgeben, und wenn solche Preisgabe eine Gefallene aufrichtet und zehn Strauchelnde vor dem Falle bewahrt, dann ist mehr Freude im Himmelreiche meines vereinsamten Herzens über diese Umkehrenden als in der glänzenden Gehenna aller Heuchler auf Erden über den Sturz jedes armen verführten Mädchens.


Meinem Verführer.

I

»Liebe Kleine, komm und nippe
von der Blume meines Kelches,
ehe ich – weiss nicht mehr welches
Mal – ihn rasch hinunterkippe!

Feueraugen, schwarze Flechten –
juch! Du wirst Dich bald bekobern!
Bist mir eine von den Echten,
die im Sturm die Welt erobern.

Ganz junonisch schön gewachsen
und entwickelt bist Du, Kerlchen!
viel zu schad für solche Faxen
wie das Basteln Perl an Perlchen!

Gott der Herr schuf Dich zur Wonne
aller Sterblichen, Marcella.
Mußt Dich zeigen in der Sonne,
doch versteht sich: a capella!«

Also sprach vor sieben Jahren
der Assessor, der im Hause
unsrer väterlichen Laren
nie gefehlt bei Tanz und Schmause;

der in unsrer Lindenlaube
sommers oft in Schlaf gesunken
und den Saft so mancher Traube
lächelnd auf mein Wohl getrunken.

Weihnacht war's, das Fest der Liebe
für die Großen und die Kleinen –
Ungekannte Sinnentriebe
wachten auf: ich musste weinen.

Alles sang, die Mutter spielte,
Urgrossmutter sass und strickte,
der Assessor aber schielte
mich bedeutsam an und nickte.

Seine Flüsterworte drangen
mir ins Herz wie Flammenstifte –
ach, er nahm mich schlau gefangen,
reichte mir das Gift der Gifte!

II

Du hast als Erster mich erkannt,
hast meines Leichtsinns schwachen Bord
mit Deiner Geilheit Fluch bemannt;
der Gluthauch pfiff – wir flogen fort.

Mit vollen Segeln fuhr das Schiff,
lustjauchzend knirschten Mast und Kiel;
mit einemmal: ein Ruck – ein Riff!
Da sprangst Du ab – ich war am Ziel.

Auf öder Klippe saß ich fest,
ins Leere drang mein Hilfeschrei.
Dein war der Trumpf, ich nahm den Rest
und spielte lächelnd Lorelei.

Viel andre kamen hinter Dir,
mir war es recht – nur zu, nur zu!
Sie stillten sämtlich schmutz'ge Gier,
doch keiner so infam wie Du!

Force majeure.

I

»Was stehst Du hier, Du blasses Kind,
und frierest wie ein Schneider?
Scharf fegt der nasse Nebelwind
Dir durch die dünnen Kleider.

Ich hab ein Zimmer warm und nett,
da magst Du sichrer weilen;
ein Schlückchen Wein, ein weiches Bett –
komm mit, wir wollens teilen!

Ein Gruseln ging mir durch den Leib
und Zorn und Widerwille:
trotz meines Falles bin ich Weib,
und seufzend schwieg ich stille.

Doch desto lauter schrie in mir
der Hunger, der mich plagte,
und den zu stillen ward ich Tier
und blieb es, bis es tagte.

II

Lachst Du mich an, Du wüster Faun,
durchfröstelt mich geheimes Graun,
Du könntest mit Deinen plumpen Tatzen
den zarten Körper mir zerkratzen
und Deines Atems gift'ges Fauchen
in meine Mädchenseele hauchen.
Puhl wie Dein Auge mich verzehrt,
das nur mein weißes Fleisch begehrt
und nichts, ach nichts von Liebe weiß.
Auf meiner Stirn perlt kalter Schweiß,
wenn ich vor Scham vergehend denke,
dass ich nur mit gebundnem Willen
und liebelos mich Dir verschenke,
des Hungers wühlend Weh zu stillen.

Vorwurf.

Feige seid ihr insgesamt,
feige seid ihr alle,
wenn ihr uns so weit entflammt,
daß wir gingen in die Falle;

daß wir arglos euch gewährt
euer sündig Trachten
und dem Wunsch, den ihr genährt,
unsern Leib zum Opfer brachten.

Doch selbst das sei euch verziehn,
so ihr wiederkämet,
wenn uns Glück und Tugend fliehn,
und den Makel von uns nähmet;

so ihr mannhaft und bedacht
Mut wie wir besäßet
und die Schuld, die ihr gemacht,
zu – bezahlen nicht vergäßet!

Unter Wölfen.

Wer nur mit Vorurteil bebrillt
das Leben schaut von ferne,
den muss es dünken meiner Treu
als arg verräucherte Taverne!

Doch wer wie ich mit drinnen saß,
gezwungen halb, und halb gewillt,
der schafft bald ab das bischen Reu
und räuchert mit und trinkt sein Maß
und füllt es dann aufs neu.

Entschuldigung.

Wie kommt es nur, daß der reiche Jude
sich heute garnicht sehen läßt?
Er stürmt doch täglich meine Bude –
psiakrew, heut ist Posaunenfest!

Heut hockt er in der Synagoge
und betet sich von Sünden rein,
und dafür schlürft die Sündenwoge
ihn morgen einmal öfter ein.

Ein jedes Volk hat seine Sitten,
und selbst ein sittenloser Mann
weilt fromm in seines Volkes Mitten,
falls er einmal nicht anders kann!

Ist doch bei jedem fetten Schmause,
bei jedem festlichen Gelag
gelegentlich mal eine Pause,
nach der man rüstger schlemmen mag!

Carneval.

Heut gehen wir, des Lebens froh,
zu Scherz und Mummenschanze,
umwallt vom grünen Domino,
und schwingen uns im Tanze.

Heut fragt uns keine Seele, Kind,
nach Rang und Stand und Namen,
und ob wir sonst auch Dirnen sind,
heut spielen wir die Damen.

Der alte Graf und sein Herr Sohn
sind sicher zu düpieren,
und nachher tafeln wir – o Hohn! –
inkognito zu vieren.

Und wenn dann beide rauschbetört
nach Weg und Wohnung fragen,
so finden wir das unerhört
und – nehmen einen Wagen .....

Des Zufalls Pfad ist nun einmal
heut krumm und morgen grade,
und durch der Erde Jammertal
hilft nur – die Maskerade!

Hetärenlos.

Im chambre séparé – der fade Fratz
gibt mir zudringlich einen Schmatz
und prüft dabei gar eingeweiht
der runden Wade Festigkeit,

und grinst und äugelt unverbrämt
und fühlt und tastet unverschämt
nach meines Busens Form und Fülle,
die – sagt er – sich ihm bald enthülle –

Ach, war ich doch kein Freudenmädchen,
dem's schlecht verschlüge, wenn es schmollte:
er kriegte sicher sein Traktätchen,
daran er ewig denken sollte!

Das alte Lied.

Alle wollen mich besitzen,
doch die Lust ist schnell verraucht,
weil zu bald sie vom Stibitzen
der verbotnen Frucht verbraucht.

All die liebestollen Knaben
preisen meiner Reize Pracht,
alle wollen sie mich haben,
aber ach: nur eine Nacht!

Wieder!

Hingerissen von der sieghaft
weißen Schönheit Deiner Glieder
hab ich wieder mich vergessen,
gab mich Dir zu eigen wieder;

lauschte wieder meinen Sinnen,
bis sie wieder mich entfachten,
ließ mich wieder von Dir knechten
und muß wieder mich verachten! –

Müde bin ich dieses Lebens,
das mich nur in Schuld verstrickte
und mir rote Sonnen zeigte,
wenn ich fromm nach Sternen blickte.

Einem Verkappten.

Du hattest mir trefflich das Garn gestellt
mit Liebesgestammel und ähnlichem Quarke,
und als Du mich trotzdem vergebens umbellt,
da wiesest Du mir die Erkennungsmarke.

Da warst Du auf einmal Behördenknecht
und mußtest »bestimmt nach oben berichten« –
doch daß Du auf meine Kosten gezecht,
darauf wohl durften sie »oben« verzichten!!

Weiß Gott, ich hab so manches Schwein
wohlwollend von außen und innen betrachtet;
wie aber muß gesunken sein,
wen eine Dirne mit Fug verachtet!!

Kalkül.

Ihr möchtet mir eins auf die Nase geben,
Ihr strengen Herren vom grünen Tisch,
Und steht auf dem Sprunge mit freudigem Beben,
In jeder Hand einen Flederwisch.

Und es ist auch alles genau so gekommen,
Wie ich es Jahre vorher schon sah:
Den Wischer habt ihr zur Hand genommen,
Nur – meine Nase war nicht da!

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten?

Die Nacht ist still und sternenklar,
geschmückt zur Liebesfeier;
vom Erker wogt mein langes Haar
gleich einem schwarzen Schleier.

War doch für mich ein Festtag heut
ureigner Art gewesen,
wie selten einer mich erfreut,
hab Thymians Buch gelesen!

Im Sopha träumte ich bisher
mit fieberheißen Wangen
und jauchzte stumm und seufzte schwer,
nun hält mich die Nachtluft umfangen.

Vom nahen Kirchturm schlägt es drei –
was soll ich da noch schlafen?
Ein später Zecher wankt vorbei,
heimkehrend in den Hafen.

Auf einmal bleibt er singend stehn
und macht mir Pudelhändchen –
Herr Gott, hab ich denn recht gesehn?
bringt mir der Narr ein Ständchen?

Er lallt und ruft im höchsten Diskant
Ein Lied aus uralten Zeiten
Und fuchtelt den Takt mit tastender Hand –
ich weiß nicht, was soll es bedeuten?

Wie kurios doch Männer sind,
wenn sie zu viel getrunken, –
halb junger Bär, halb großes Kind,
vom Manne nicht ein Funken!

Der Wicht ist fraglos schwer bezecht,
kann kaum vom Platz sich schleppen;
doch würf ich hinab ihm den Haustürknecht,
ich wette, er stiege noch Treppen!

Cassandrino.

»Kind, wir spielen Mann und Frau«!
schnarrt der alte Schwede,
der in Sünden lahm und grau,
»mich versteht nicht jede!

Aber Du kennst mich genau
mehr denn eine jede – –
Kind, wir spielen Mann und Frau,
ohne Gegenrede!«

Nein! wir spielen Katz und Maus:
erst berappst Du wacker,
und dann werf ich Dich hinaus,
knickeriger Knacker!

Verkehrte Welt.

Wie viel Schöne, wie viel Hoheit
fegt die Straßen aus und ein.
um der Sinnenlust und Roheit
fleischliches Modell zu sein!

Wie viel Adel, wie viel Treue
borgt von uns der stolze Mann,
daß er jeden Tag aufs neue
Herr der Schöpfung spielen kann!

Chacun a son goût.

Das Zimpertum, die Prüderie
ist nie Dein Geschmack gewesen,
wie Feste fallen, feierst Du sie,
machst nicht viel Federlesen.

Das ist gewiß recht schön gedacht
und menschlich auch empfunden,
nur paßt's nicht jedermann (gib acht!)
und nicht zu allen Stunden;

denn eins vergaßest Du dabei;
auch ich bin Mensch und stolz und – frei!
Auch ich, die Hetäre, hab Geschmack
und trage niemand huckepack!

Zwiespalt.

Der Sonne Strahlen sinken
schon schräg auf die Allee,
nun wird es Zeit, zu schminken
die Larve fürs Café.

Nun schmücke mich, Elise,
zum bunten Bacchanal!
Heut lautet die Devise:
Coeur-Dame, tausendmal!

Reich mir die rote Robe
aus mousseline de laine!
Sie soll die Feuerprobe
vorm Qrafen F. bestehn.

Helwinschmuck in den Nacken!
Ins Haar Brillantenpracht!
Will zünden heut und packen
als Königin der Nacht! –

Rasch her die Perlenketten
von meinem letzten Schatz!
Rasch her die Stiefeletten,
die mit dem Knopf besatz!

Die Maniküre kauert
im Nebenzimmer schon;
mach schnell! die Aermste lauert
ja auch auf ihren Lohn!

Der Pfropfen knallt! Vom Weine
betaut des Bechers Rand. –
Schwül gleißt das Gold, die Scheine
sie knistern so frappant! ......

...... Im hellsten Lampenschimmer
winkt strahlend das Café, –
ich sinne und sitze noch immer '
auf meinem Kanapee!

So heiß die Augenlider,
mein Herz so zag und scheu –
mir deucht, mich martert wieder
die alte Sünden reu.

Die langen Perlenketten,
wie drücken sie so schwer!
Ich wünschte wohl, sie hätten
mit mir ein Grab im Meer!

Der Glanz in meinen Locken
brennt wie der Hölle Glut,
mein Herzpuls droht zu stocken,
wo blieb mein kecker Mut?

Wo blieb das eitle Spreizen
mit all der Sündenpracht?
wo blieb mit ihren Reizen
die Königin der Nacht ?

Ach Heine, böser Heine,
was schriebst du dein Liederbuch?
Ich sitze daheim und weine
um meiner Schönheit Fluch! –

Quittung.

Gestern gab mir mein Galan
einen braunen Lappen –
sollte ich darnach nicht schnappen,
eh ihn andre sahn?

Hat er mich doch zehnmal schon
schauderhaft betrogen,
zehnmal schon mich ausgezogen
ohne jeden Lohn!

Rübchenschaben.

Rübchenschaben? o wie oft
ward es mir schon aufgezwungen
von den vielen dummen Jungen,
die zu täuschen mich gehofft!

Liebe? nein, ich bin zu schwer
mit der Liebe hintergangen;
eher könnten Feuer fangen
Himmelsraum und Weltenmeer!

Gebt als das euch, was ihr seid,
und ich will euch gerne glauben,
aber die Gewissensschrauben
eurer Liebe laßt beiseit!

Eine Hand wäscht die andre.

Ich kann Dich nur verachten und hassen
und muß Dir liegen doch im Arme
und muß von Dir mich – lieben lassen,
ein Los, daß Gott erbarme!

Muß krauen Dir die dünnen Strähnen,
indeß Du Dich belustigt rekelst
und durch gewohnheitliches Gähnen
mir meine Schmach noch mehr verekelst.

Woher dies widerliche Treiben,
statt starker Gier das matte Gierchen?
Man muß dem Satan sich verschreiben:
denn er – verschreibt uns die Papierchen!

Vertierung.

Ob wir Menschen, eh wir Menschen
wurden, auch so wüst gelebt?
ob an unsern Urmenschzungen
auch die Lüge schon geklebt?

Nimmermehr! sonst wären Tiere
wir geblieben lebenslang.
Nimmermehr! sonst hätte Darwin
nie erforscht den Werdegang.

Nimmermehr! sonst könnten nimmer
wir die Spur zurückegehn,
die schon Ben Akibas Weisheit
als gewesen angesehn. –

Anwandlung.

Eva, unsre Stammesmutter,
hat die Sünde uns vererbt;
denn sie nahm vom Baum des Lebens,
der des Weibes Herz verderbt.

Denn sie nahm vom Baum des Lebens,
was den Männern nur erlaubt,
weil die Welt dem Manne leider
immer noch sein Vorrecht glaubt.

Ach, daß mir zwei Rippen fehlen,
die durch ihr Vorhandensein
Männern Sünde und Verführung
und noch Schlimmeres verzeihn!

Flügellahm.

Reicht mir den Taumelkelch der Lüste,
Ich will nur fühlen noch und lallen!
Der blonde Teufel, der mich küßte,
hat so wie keiner mir gefallen.

Hat so wie keiner mich umschlungen,
wie keiner so mich mir entrissen;
selbst in des Glücks Erinnerungen
kann ich sein teures Bild nicht missen.

Und will ich auch mein Herz beschwichten,
zum Wahnsinn droht es mich zu treiben,
und weiß ja doch: ich muß verzichten,
muß ewig eine Paria bleiben!

Edwin.

I.

So jung auch Du und schon so schlecht,
verschlagen von widrigen Winden,
und solltest nimmermehr zurecht,
zurück ins Leben finden?

Dein Auge blickt genoßne Lust
und brünstiges Verlangen,
mit leisem Pfeifen geht die Brust,
und hektisch sind die Wangen.

Um Deine schmalen Lippen höhnt
ein ganzes Heer von Leiden
und Leidenschaften, die gewöhnt
selbstherrlich sich zu weiden.

Auf Deiner Marmorstirne loht
des Lasters Kainszeichen,
das Zeichen derer, die dem Tod
in nichts an Härte weichen.

Dein zierlich Händchen – zitternd liegt
nervös es auf dem meinen;
Dein schlanker Körper – fiebernd wiegt
er sich in tausend Peinen.

Ein heißer Partner magst Du sein,
das soll der Neid Dir lassen!
Und alle Zeichen treffen ein:
ich muss Dich liebend hassen!

II.

Dein müdes Auge lacht mir zu
voll suggestiven Träumens,
nimmt Selbstbeherrschung mir und Ruh
trotz allen Sträubens und Bäumens.

Ein schmerzhaft Stechen, tief und fein,
und willenlose Schwäche –
hier, dicht am Herzen stellt sichs ein,
sobald ich mit Dir spreche.

Mir wird so wirr, so sonderbar,
wie ichs noch nie empfunden:
das Schicksal hat – ich fühl es klar –
mein Los an Deins gebunden.

Ich kann nicht mehr! befiehl und heisch!
Komm her! Du sollst mich haben,
sollst in mein sündhaft bebend Fleisch
die weißen Zähne graben!

Ich kann nicht mehr, und magst Du mich
zertreten und zerpflücken!
Komm her!! ich hasse und liebe Dich
und will Dich wie Keine beglücken!

III.

So jung wir zwei und schon so schlecht,
verschlagen von widrigen Winden –
wohlan! wir wollen uns zurecht,
zurück ins Leben finden.

Und gährt die Woge himmelan,
ihr Opfer zu bezwingen,
Du kommst ans Land, Du bist ein Mann,
das Weib mag sie verschlingen! – –

Auch ich will einmal Gutes tun
nach hundertfachem Bösen:
ich will nicht rasten, will nicht ruhn,
will Dich vom Fluch erlösen.

Und hat mein eigen Elternpaar,
dem ich die Tochter raubte,
verstoßen auch auf immerdar
die lange tot Geglaubte, –

Dir, Freund, verzeiht ein Mütterlein,
Dich wird die Mutter grüßen!
Komm mit, wir treten leise ein
und fallen ihr zu Füßen!

Und sind auch alle Läden schon
geschlossen und die Türen, –
ich will Dich, Du verirrter Sohn,
zu Deiner Mutter führen!

Die Mutter hört des Kindes Nahn
im Wachen und im Schlafen;
denn ewig brennt der Liebe Spahn
in ihres Herzens Hafen.

Was ich der meinen frevelnd nahm,
ich will es Deiner geben,
will um ihr Herz voll Leid und Gram
ein Rosenwunder weben!

Und wenn Du dann am Hals ihr hängst
in zauberschönen Stunden,
geliebter Freund, dann bin ich längst
still segnend Euch entschwunden!

Der Wahn ist kurz ...

Kurze Scherze – lange Leiden,
eines zieht das andre nach,
und getreulich hält uns dieses,
was uns jenes nicht versprach.

Was wir nie gehofft, erfüllt sich,
was wir hoffen, freut uns nie;
denn für Mädchen unsres Schlages
ist das Glück nur Theorie. –

Es sagt mir jeder ...

Es sagt mir jeder, der mich kennt,
zur Mutter hätte ich Talent
wie manche brave Mutter nicht,
die legitim verehelicht.

Weiß Gott, woher die Leutchen nur
entdeckten des Gedankens Spur,
der Tag und Nacht mein wundes Herz
aufs neu zerwühlt in Gram und Schmerz;
des tödlichen Gedankens, der
sich mein bemächtigt mehr und mehr,
je weiter ich dem schönen Ziel
der Mutterfreude, seit ich – fiel!

Faute de mieux.

Viel Tränen sind geflossen,
jetzt fließen sie nicht mehr,
jetzt hab ich abgeschlossen
auf Nimmerwiederkehr.

Und kommen auch dunkle Tage
so schwarz wie Wetternacht,
und kommen Not und Plage,
sie werden all verlacht!

Das Lachen ist doch das Beste
trotz allem, was geschehn,
wenn wir vorm kargen Reste
der Lebenstafel stehn.

Das Lachen ist die feinste,
die klügste Negation,
wenn erst das Glück, das reinste:
die Unschuld uns entflohn.

Das Lachen läßt uns scheinen
wofür uns jeder hält,
und ob wir im Herzen weinen, –
das Lachen sieht die Welt!

An den lüsternen Tod.

Laß die arme Trulle laufen,
schau sie nicht so schrecklich an;
wird auch Dir sich noch verkaufen,
klapperdürrer Sensenmann!

Liebt zwar heute noch das Leben,
doch wer weiß, was schon die Nacht
ihr an Medizin mag geben,
daß sie Dir entgegenlacht.

Sollst sie weidlich dann umarmen
und umhalsen – wie's beliebt!
Werdet freilich kaum erwarmen,
doch was tut's, wenn sie –sich giebt?!

Sekt und Austern.

Sekt und Austern –brr! ein Schütteln
spür ich heute noch mich rütteln,
muß ich denken jenes Gecken,
der mit meisterlichem Schlecken
bei Kempinski sich geschickt
fast ertränkt drin und erstickt,
der mich dann mit zotgem Lachen
hieß es ebenso zu machen,
weil, wie selbst ein Stümper merke,
nichts wie dies zum – Lieben stärke.

Sekt und Austern – göttlich ist es,
sie in Ruhe zu verdauen,
ohne Stachel innren Zwistes
und der Reue Katergrauen!
ohne das Gefühl der Leere,
daß wir haltlos tiefer sanken,
weil wir nur verkaufter Ehre
solchen Hochgenuß verdanken!

Das Weib ist bitter.

»Das Weib ist bitter!« seufzte Salomo,
der Ausbund aller Tugend, als er, froh,
das alte Liebchen tot zu wissen,
ein neues in sein Netz gerissen.

Für wen hat er dies Wort gesprochen
und über wen den Stab gebrochen?
Wen hat er eigentlich gemeint?

Das Weib als Typus des Geschlechts,
das er im Eifer des Gefechts
der Lust vergessend, hart verneint?

Das Weib als Typus seiner Art,
mit der er buhlend sich gepaart?
Das Weib, als das Weib, das ihm keck
herausgesagt: Du bist ein Geck,
ein ekler Lüstling auf dem Thron,
der Königswürde Schmach und Hohn;
ich fische, aber nur in Klarem,
und bin zu fein für Deinen Harem!?

Wen stieß er aus dem Gnadenscheine?
Uns alle, – – – oder bloß die eine

Milderungsgrund.

Ich weiß, ich war eine Sünderin,
ich weiß, daß ich das Pfund,
das Gott mir gab, mit frevlem Sinn
vergrub in der Hölle Grund.

Doch weiß ich, wenn man ein mich sargt,
spricht, wer ein Herz im Leib:
Sie trug ihr eigen Fell zum Markt
und war doch nur ein Weib!

Verführt!

Verführt! – ich hab es oft bedacht,
was mir dies Wort so schmerzlich macht,
so schmerzlich und dabei so traut
wie Kindermärchen und Liebeslaut.

Verführt, verführt! – unselig Wort!
den zarten Schleier reißt es fort
von meiner Kindheit Paradies,
in dem ich Glück und Glauben ließ.

Verführt, verführt! – ein Furchtphantom,
ein racheroter Feuerstrom;
ein Bild, das hämisch nach mir greift,
daß es mich fröstelnd überreift.

Verführt, verführt! – es wiegt mich ein
in holde Mädchenträumerein,
in einer Stimme Zauberklang,
der einst mir Herz und Sinn bezwang.

Verführt, – verführt – in einem fort
folgt mir dies bittersüße Wort,
und also wirds auf meiner Gruft
als Nachruf tanzen in der Luft. –

Geburtstag.

My dearling, trink vom Weine,
den Dir die Freundin beut!
Stoß an mit mir, Du Kleine:
ich hab Geburtstag heut!

Geburtstag meiner Leiden
und meiner Herzenspein –
o sag: wer von uns beiden
mag da die ältre sein?

Doch nein! ich will nicht fragen;
Erinnerung ist Qual.
Man zehrt nur von goldenen Tagen,
das andre bleibt egal!

My dearling, trink vom Weine,
den Dir die Freundin beut!
Stoß an mit mir, Du Kleine:
ich hab Geburtstag heut!

Kodizill.

Was ich wahnbetört verbrochen,
ist, so Gott es gnädig will,
längst geahndet und gerochen
hier durch dies mein Kodizill:

Allen denen, die mein Leben
hingemordet plump und prompt,
sei verziehen und vergeben,
wenn es einer Schwester frommt!

Wenn, was ich in tausend Schmerzen
tödlichster Verzweiflung litt,
einem einzgen Schwesterherzen,
einem nur vorüberglitt!

Letzte Bitte.

Ihr habt mich getreten mein Leben lang,
seit ich gewandelt den Dornengang.

Ich war euch nur immer das Kaufsobjekt,
nach dem ihr die gierigen Hände gestreckt,

das ihr, von genossener Lust entlarvt,
verlegen zuweilen, meist frech verwarft.

Ich trug euch geduldig im sündigen Schoß
und will auch nicht klagen ob meinem Los,

das ich durch eure Gunst erwarb;
will nimmer murren, daß ich verdarb,

daß ihr mir vergiftet die Lebensluft
und mitgeschaufelt an meiner Gruft. –

Doch wenn ihr die letzte Grube mir grabt,
– ich habe die Blumen so gern gehabt –

dann spendet freundlich mit milder Hand
mir ein versöhnendes Liebespfand,

dann ehret nur einmal in mir das Weib
und schmückt mir mit Blumen den toten Leib!