O du fröhliche, o du selige Faschingszeit Da singt und springt das junge Volk, so lange noch ein gelb angelaufenes Zwanzig-Kreuzerstück im Beutel blinkt, so lange noch eine Saite klingt.
Vor zehn Jahren, am 2. Feber, war ich bei einer Abendunterhaltung in Börn -- Himmeltausend, wo liegt Börn? wird mancher fragen. In der Schweiz wird ein anderer darauf antworten. Weit gefehlt, lieber Leser. Hof, Bautsch und Börn sind die größten Städte in Mähren, sagen die Brünner, also wohlgemerkt, Börn liegt in Mähren.
Und in Börn war es, wo ich vor zehn Jahren einen Tag und eine lustige Faschingsnacht verlebte. Nachmittags war große Volksversammlung und abends eine Unterhaltung.
Am andern Tage gings über die beschneiten Felder nach Römerstadt, wobei der schläfrige Schimmel mich einige Male samt dem Kutscher aus dem Schlitten schleuderte.
Nach der Römerstädter Versammlung kamen noch einige Städte an die Reihe, denn ich machte damals eine Agitationsreise durch Mähren und Schlesien. Durch das viele Sprechen, Singen und Tanzen war ich schon recht angegriffen, als ich in F., einem freundlichen Städtchen in Schlesien, anlangte. Die Genossen hatten mir geschrieben, dass sie mich am Bahnhofe empfangen wollten. Wie erstaunte ich aber, als ich gegen 6 Uhr abends auf der Station ankam, anstatt meinen Freunden drei Gendarmen zu sehen, welchen ich es von der Nase herunterlesen konnte, dass sie auf einen gefährlichen Vogel lauerten. Sapperlot, dachte ich, das sind nicht die Genossen, die mich abholen wollten, oder vielleicht doch? - »Station F.!« rief der Schaffner und öffnete die Waggontür. Ich rief einen Arbeiter, gab ihm meinen Handkoffer und ging direkt auf die drei Wächter der Gerechtigkeit zu. »Herr Wachtmeister,« sprach ich, indem ich leicht meinen Hut lüftete, »könnten Sie nicht die Güte haben und mir ein anständiges Hotel anweisen, wo ich einige Tage logieren kann.« »Sehr gerne,« meinte der höfliche Mann und sagte mir den Namen eines Gasthofes. Er ging mit mir bis an die Rampe beim Eingange des Bahnhofes und rief einen Droschkenkutscher heran. Ich bedankte mich für seine Bemühung, gab dem Arbeiter, welcher meinen Koffer mir übergab, ein Trinkgeld und nachdem der Kutscher seinem Pferde einen Peitschenhieb gegeben, ging es im Droschkengaultrapp die Bahnhofstraße hinunter. Als wir eine Strecke gefahren, sagte ich dem Kutscher, er möchte mich ins Vereinslokal der Textilarbeiter fahren.
Der Kutscher ließ einen leisen Pfiff ertönen und meinte, zu mir gewandt: »Ah, Sie sind wohl der S. aus R.?« »Ja, Schwager,« entgegnete ich und klopfte ihm auf die Schulter, »aber ich bitte, machen Sie keinen Gebrauch davon, wenn Sie wieder zum Bahnhof fahren.«
»Nicht die Spur,« gab er mir lächelnd zur Antwort, und indem er mit der Peitsche nach rückwärts zeigte, meinte er schmunzelnd: »Aber die drei Gendarmen werden schauen, die wollten Ihnen ja abfangen.« Mittlerweile waren wir an Ort und Stelle angelangt und nachdem ich den Kutscher bezahlte, ging ich in die Gaststube des Vereinslokales. Die Genossen freuten sich herzlich, dass ich glücklich angekommen und nun wurde gleich ein Plan entworfen, um es möglich zu machen, dass ich bei der in einer Stunde stattfindenden Versammlung ungestört und unbehelligt sprechen könnte.
Die Sache war nicht schwer. Ich trat dem Vereine sofort als Mitglied bei und ein Webermeister, welcher anwesend war, nahm mich sofort als Weber auf. »Jetzt kann Ihnen kein Mensch etwas am Zeuge flicken,« meinte der ehrsame Webermeister.
Das Vereinslokal war ein großes Einkehrwirtshaus mit vielen Wohnräumen und einem großen geräumigen Hofe. Im ersten Stock war ein schöner Saal, in diesem fand die öffentliche Versammlung statt. Ein kleines, niedliches Männlein war als landesfürstlicher Kommissär erschienen, welcher zwar sehr ernst und strenge dreinschaute, als ich zu sprechen begann, aber außer einer leisen Rücksprache mit dem Vorsitzenden und einem fieberhaften Trommeln mit seinem Bleistifte machte er gar keine Bemerkung. Nach Schluss der Versammlung, welche sehr zahlreich besucht war, stand er auf, setzte seine Dienstmütze fest, streckte und reckte sich und sprach mit schnarrendem Tone: »Wo haben Sie Ihre Papiere?« »Welche Papiere?« frug ich verwundert. »Ihre Legitimation,« rief er laut. »Ich brauche vorläufig keine,« entgegnete ich. »Wissen Sie, wer ich bin,« schrie der kleine Mann. »Justizminister noch lange nicht,« sagte ich lächelnd. Nun dachte ich aber, das Männlein geht entzwei. »In zehn Minuten sind Sie verhaftet,« schrie er und schoss wie ein Pfeil zur Tür hinaus.
Wir gingen lachend in die niederen Lokalitäten und alle frugen mich, was nun kommen wird. »Gendarmen werden kommen und mich verhaften,« sprach ich ruhig. »Was,« rief der Gastwirt, ein Mensch wie ein Riese, »in meinem Hause soll es niemand wagen, Ihnen nahe zu treten.«
Es entstand nun ein Lärm, alles drängte sich um mich und ich hatte Mühe, die Leute zu beruhigen.
In einigen Minuten erschienen zwei Gendarmen an der Tür, der Wirt frug sie, was sie begehren.
»Wir haben den Auftrag, den Herrn S. aus R. zu verhaften,« meinte der Führer.
»Habt Ihr einen Haftbefehl,« frug der Riese.
»Nein,« war des Führers Antwort.
»Dann geht hinaus und wartet, bis er von hier fortgeht.«
Und sonderbar, die beiden Gendarmen gingen hinaus und stellten sich vor den Eingang des Gasthofes.
Ich suchte den Leuten klar zu machen, dass mir nichts geschehen kann.
Es war vergeblich, sie waren so erregt, ich konnte sie nicht beruhigen. Die Frau Wirtin hatte mir indessen ein gutes Nachtmahl bereitet und als ich dieses zu Gemüt geführt, gab mir der Wirt einen Wink und lockte mich in die Küche. Dort gab er mir meinen Winterrock. Hut und Handkoffer und führte mich rasch aus der Küche ins Hinterhaus, von dort durch den geräumigen Hof. An einem großen Einfahrtstore machte er eine kleine Türe auf, zwängte seine gewaltigen Schultern durch die Öffnung und als er sich überzeugt, dass die Luft rein sei, gab er mir einen gelinden Schubs und ich stand auf einer ganz anderen Gasse. Kaum war ich draußen, fasste mich ein Mann bei der Hand und sprach: »Folgen Sie mir.«
Der Mann, ein braver Genosse, führte mich auf das nächste Dorf und nach Mitternacht saßen zwanzig wackere Freunde um mich und wir schmiedeten Pläne für die Zukunft. Während wir uns berieten, standen die beiden Gendarmen fest auf ihren Posten und schauten jeden fest ins Gesicht, welcher das Vereinslokal verließ. Einer nach dem anderen ging, aber keiner war S. aus R., denn der war fort. Endlich (wie mir die Genossen nach einigen Tagen berichteten) kam ein Mann aus dem Gasthofe, welcher eben so eine lange Nase, einen roten Schnurrbart und so rebellisches Haar hatte wie ich. Die Gendarmen fassen ihn an und erklären ihn für verhaftet.
Der arme Mensch ist natürlich erschrocken und hat nicht gewusst, warum.
»Nur vorwärts,« sagte der Führer, »und keine Flausen gemacht, wir wissen, dass Sie S. aus R. sind.«
»Aber, was wollen Sie denn, ich bin bei meiner Braut gewesen und will nach Hause gehen.«
»'s Maul halten!« ruft der Führer, »Sie sind S. aus R. und damit basta.«
Der arme Teufel wurde in Haft genommen und anderen Tages dem Richter vorgeführt. Da stellte es sich denn heraus, dass er nicht S. aus R. war, sondern ein frommer Bürgersohn aus F. in Schlesien.