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Eduard Stucken – Das Buch der Träume

Gedichte

Eduard Stucken, Das Buch der Träume, Erich Reiss Verlag, Berlin, 1916.

Den Fluß hinab

Im Mittagsschein
fahr ich im Boot allein
den Fluß hinab, der mit mir sinnt und träumt.
Kein Laut im Kreis;
der Kiel gluckst schläfrig, leis;
von Linden ist das Ufer hoch umsäumt.


Der Sonne Glut
strahlt wider aus der Flut
mit Bäumen, deren Kronen abwärts stehn.
Im Fluß erhellt
sich eine Spiegelwelt,
wieviel auch Wellen kommen und vergehn.


Metallen blank,
stahlblau und zierlich schlank
fliegt die Libelle auf der Spiegelung.
So leichtbeschwingt,
von Sonnengold umringt,
flog meine Seele einst, sehnsuchtsvoll, jung.


Zu jung vielleicht,
getäuscht, enttäuscht so leicht,
genoß sie Hoffnung nur, wenn sie genoß;
verfolgte wild
ihr eignes Spiegelbild
in einer Welt, die wie ein Fluß zerfloß.


Schwermut

Durch die Graswiese zieht
Well' auf Welle im Wind
und verebbt wie ein Lied,
das erjauchzend zerrinnt.


Wie ein Lied, das vergaß,
daß die Graberde schwer ...
All die Blumen im Gras
sind wie Perlen im Meer.


Und ich lustwandle hier –
(bald gemäht ist das Heu!) –
und die Schwermut folgt mir
wie ein Hund getreu.


Sonntagmorgen

Horch! die Erde singt! ...
Sonntag ist heut.
Ueber Feldern klingt
Glockengeläut.


Rauschend stimmen ein
Wipfel und Quell;
Flußschilf auch summt ein
Ritornell.


Erde, Mutter du,
deinem Gesang
hör ich selig zu,
selig und bang.


Mich als Kind gewiegt
hast du dereinst;
und an dich geschmiegt
schlummre ich einst! ...


Fällt mein Auge zu,
tönt einst Geläut,
singe mich zur Ruh,
Mutter, wie heut!


Erinnerung

Warum berührst du mich,
Geisterhand, bleiche?
wohin entführst du mich,
in welche Reiche?


Schnell, wie nie rastende
Sturmwinde jagen,
scheinen mich hastende
Flügel zu tragen.
Lange durcheilen wir
wolkige Räume,
jetzt aber weilen wir –:
rauschende Bäume,
Wiesen, die schwirrende
Falter umgaukeln,
Decken, drauf girrende
Tauben sich schaukeln,
schilfreiche Seen dort
blinken voll Schwänen,
in den Alleen dort
murmeln Fontänen – –
Oh! jetzt erkenn' ich euch!
Lauben vertraute, –
Zäune, – als wenn ich euch
gestern erst schaute, –
Bänke, – (ich habe noch
keine vergessen!) –
wo ich, ein Knabe noch,
weinend gesessen ...


Warum berührst du mich,
Geisterhand, bleiche?
warum entführst du mich
in Schattenreiche?


Der Rabe krächzt

Der Rabe sitzt noch auf dem Baum
dort beim Röhricht, am Ufersaum,
wo ich geträumt. War es nur Traum?


Ich hatte einen Ring von Gold; –
obwohl ich ihn treu hüten wollt',
war mein Ring in den See gerollt.


Am See standen wir, ich und du, –
du strahlend in lächelnder Ruh,
ich aber weinte immerzu.


Der Rabe spreizt die Flügel breit,
flattert empor und krächzt und schreit:
Selige Zeit! selige Zeit!


Die Melodie

Wie ein verlornes blasses Bettelkind,
       das scheu durch Gassen irrt,
schwebt eine Melodie im Abendwind
       und lächelt angstverwirrt.


Die Melodie hat Augen wunderbar
       abgründig, gramerfüllt.
Sie läßt auf mich herab ihr Seidenhaar,
       das rieselnd mich umhüllt.


Sie küßt mich, küßt mit tränenheißem Mund,
       winkt schwindend mit der Hand –
und jählings weiß ich, daß vom Erdenrund
       die höchste Freude schwand.


Das Prisma

Kind, willst wohl das Tierlein haschen,
das, der Wand entlang, mit raschen
Sprüngen – rot, gelb, grün und blau –
hin und her läuft? Dirnlein, schau:
Himmelslicht kann hier auf Erden
nur zerbrechend Buntheit werden.
Auch in deinem Herzen bricht
sich ein Lichtstrahl! Weißt du's nicht?


Der Adler

Weh ist dir, verwundeter Adler, – düster
starrst du um dich, schlägst mit gebrochnem Flügel;
perlend auf den rostbraunen Fittich sickern
            purpurne Tropfen.


Mit dem messerscharfen, gehöhlten Schnabel
hackst du in die eiserne Kette, die dir
deine onyrfarbnen, geschliffnen Fänge
            grausam umklammert.


Auf den goldumränderten Augen müde
gleiten blaue runzlige Lider. Töten
muß ich dich. Dort wird dir der Flügel heilen,
            Bild meiner Sehnsucht.


Das Märchen von der Treue

Es war einmal eine Maid,
       gar stolz und fein,
die trug unter goldnem Kleid
       ein Herz aus Stein.


Und war so lieblich und schlank
       und gliederzart,
daß, wer sie erblickte, krank
       vor Liebe ward.


Doch aller Freier Lohn
       war Spott und Schand.
Und ein junger Königssohn
       kam einst in ihr Land;


und traf sie von ungefähr
       und blickte sie an
und sagte ihr, wie sehr
       er sie lieb gewann;


und ihn küssen solle ihr Mund,
       denn ihr Mund sei kalt, –
doch sein Herz sei siedend und wund
       und verblute bald.


Drauf sprach das schöne Kind
       mit grausamem Scherz:
So zeig' es mir doch geschwind,
       dein siedendes Herz!


Ich möchte sehn, wie es dampft
       und purpurn tropft
und sich zusammenkrampft
       und zuckt und klopft!


Blaßlächelnd sprach sie's und schien
       neugierig sehr.
Nur erproben wollte sie ihn –
       doch er tat ihr Begehr,


schnitt sein Herz aus der Brust ... Und ihr Leid
       sah er noch und verblich.
Und das Herz sprach: Weine nicht, Maid,
       denn glücklich bin ich!


Abend in der Stadt

Schon hellt im Zimmer Lampenschein den Tisch.
Am offnen Fenster wogt staubheiß und frisch
die Juniluft. Kaum sichtbar sternbesät,
blaut der Nachthimmel, bleich noch, träumerisch.


Der Auto-Lärm erstirbt fern, surrt und summt.
Der Mummenschanz, der tags die Stadt vermummt,
hat vor des Großen Bären Majestät
die Flitter abgeworfen – und verstummt.


Da plötzlich fängt das Schweigen an zu klingen.
Ich hör' das Lied, das Sterneengel singen:
vom Weltenbaum – wie er knospt, welkt, vergeht –;
und streichelnd streifen mich die weißen Schwingen.


Gleichnis

Hellgrün wiegt auf den Tannenspitzen allen
des Frühlings Last,
als wäre grüner Schnee herabgefallen
auf jeden Ast.


Auch dich sah ich bedrückt vom Frühlingsprangen
in alter Zeit;
da hatten rote Flocken deine Wangen
zart überschneit.


Das Lied, dem wir gelauscht, ist längst verklungen;
nichts blieb als Weh.
Nun schneit hernieder auf Erinnerungen
ein grauer Schnee.


Des Haares Duft

Als dein Haar die Schläfe mir gestreift,
hat vom Eiland mir sein Duft erzählt,
wo gebräunt, wie eine Frucht gereift,
deine Seele lebt, dem Mond vermählt.


Badend schlägst du am Korallenriffe
mit der Hand die Wasserfläche; du
Neid der Menschen und der Götter, – Schiffe
tragen dir kostbare Federn zu!


Nach Jahren

Wir trafen uns wieder im Menschengewühl,
       und während wir sprachen, umflorte
die jauchzende Angst das alte Gefühl,
       das – ein eherner Dolch – uns durchbohrte.
Nur im Schatten des Mundwinkels huschten noch sacht
       Gespenster von Worten und Taten –
wie Flämmchen auf dem Kirchhof bei Nacht
       die armen Seelen verraten,
die bedrückt von eines Steines Gewicht
       dort gebettet sind, Schmerzüberwinder ...


Berg und Tal begegnen sich nicht,
       wohl aber die Menschenkinder.


Japanische Frauenmaske

Maske an der Wand,
lächelst unverwandt;
sphinxhaft sieht dein Blick
Glück und Mißgeschick!
So unheimlich-traut
lacht Natur und schaut
ihrer Kinder Los
gütig-teilnahmlos.


Wiedersehn

Wie im Schlummer neigen
       sich müde die Blumen all,
und in dunklen Zweigen
       erwachte die Nachtigall.
Auf den Wiesen flimmert
       der Leuchtkäfer Irrlichttanz,
und mein Boot umschimmert
       das Wasser im Mondenglanz.


Auf dem Flusse leise
       verzittert der Ruder Schlag.
Und im Schilf die Weise
       tönt klagend und bang und zag.
Mir entgegen gleitet –
       so schwarz wie ein schwarzer Schwan,
der die Flügel breitet –
       gespenstisch ein andrer Kahn.


Dort im Kahne seh ich
       die eine, mein Glück und Leid,
ihre Wangen schneeig,
       allweiß wie ihr schneeig Kleid.
Und sie grüßt, die Tote, –
       ihr Blick ist ein stummer Schrei, –
und an meinem Boote
       zieht lautlos ihr Boot vorbei.


Phantasie

Filzsträhnig, wüst die Frau,
wie der Spelunke Bau
altersmorsch, lastergrau,
       schmutzstarrend, krank – –
grüßt mich und flüstert: Trink!
winkt, und auf ihren Wink
bringt der Chinese flink
       kühlenden Trank.


Süß hat der Saft geschmeckt –
schon lieg ich ausgestreckt;
vor meinen Augen reckt
       sich weiß ein Knie;
wird gleich zum Birkenstamm;
Scheere wird's; Flöte; Schwamm;
Feldstecher; Schildpattkamm;
       Eismeer; Prärie.


Fellbedeckt wandl' ich mich
äußerlich, innerlich;
raubtierhaft schärfen sich
    Kralle und Zahn – –
Puma bin ich; dann Fuchs,
buschgeschweift, rot; dann Luchs;
renne als Iltis flugs;
    bin Pelikan.


Sause als Schwalbe hin;
Kondor bin ich und bin
Goldfisch; dann Salm, der in
       Bergseen gefriert;
Kugel bin ich aus Glas;
Pfaunfeder, grün wie Gras,
die auf des Clownes Nas'
       Aequilibriert.


Kugel dann wie zuvor,
glüh ich als Meteor;
Irrlicht bin ich auf Moor;
       bin ein Planet;
Ring, der Saturn umreift;
Stern, der lichtglanzgeschweift
Milchstraßennebel streift,
       flieg ich Komet.


Träumt mir die Wandlung bloß?
Ist's doch des Geistes Los,
daß er frei, fessellos,
       Schranken zum Spott,
rührt an der Wolken Saum!
Alles ist er im Raum!
Träumt das mein kranker Traum?
       Träumt mich ein Gott?


Morgennebel

Noch hat die Sonne sich nicht erhoben,
doch schon erlodert an Wölkchen droben
rotgelb ein Brand.
Vom Fenster ins Land
blick ich – auf Dunst, den die Nacht gewoben.


Die Felder voll Kornblumen und Mohnen,
das Dorf, wo Menschen und Schwalben wohnen,
versanken ringsher.
Dem Nebelmeer
enttauchen spukhaft drei Lindenkronen.


Sie scheinen Inseln, dran Wogen schäumen,
Gestade des Glücks, wo die Schatten träumen
am Nebelsee.
Ein lockendes Weh
spinnen Mädchen dort auf den Bäumen.


Harpyie

Erdbeerrot der schwellende Mund; die Wangen
grünweiß; dichtumwimpert die feuchten Augen;
silbrig, straff die Brüste; vom Nabel abwärts
                            Geiergefieder.


Statt der Arme – Fittiche, scharf wie Dolche;
statt der Zehen – Klauen, wie Dolche spitze;
blendend schön und gräßlich, umflattern mich die
                            quälenden Vögel.


Weh! ich stolzer, darbender König! Strotzend
locken goldne Schüsseln; doch jeden Bissen
schmutzt der Vögel Unrat. An reicher Tafel
                            muß ich verlechzen.


Mondzauber

Durch das Astgeranke
       heimlich und sacht
steigt des Vollmonds blanke
       silberne Pracht.
Nur noch im Grase die Grille
ruht nicht und zirpt ihre schrille
Klage hinaus in die stille
       mondhelle Nacht.


Unter weißen Birken
       blick ich ins Tal.
Nebel spinnen, wirken
       aus Mondgestrahl
Tücher, weißblinkend und seiden;
fern an des Flußufers Weiden
seh ich die Roßherde weiden,
       geisterhaft fahl.


Regt sich's nicht im Schilfe?
       Klagt's nicht im Rohr?
Taucht nicht eine Sylphe
       schimmernd empor?
Hab ich nicht einst diesen wehen
Blick von verwundeten Rehen
lachend und strahlend gesehen
       lange zuvor?


Der Schlüssel

Trüb ist der Tag, und der Regen macht Fensterglas blind;
Oede umschleicht mich; im Ofenrohr wimmert der Wind –
(ich gab dir mein Reliquienkästchen, du Schlangenkind).


Grau ist der Himmel, wo weinende Wolken ziehn;
grau ist mein Antlitz, seit Sonne mich nicht mehr beschien –
(du thronst und öffnest den Kleinodbehälter auf den Knien)


Bleiern die Luft hier; die Uhr tickt so trüb an der Wand,
mahnt an die Zeit, die gespensterhaft, glücklos entschwand –
(du läßt die Perlenschnüre gleiten durch deine Hand).


Schreibtisch und Bücherschrank dämmern im Regenlicht bleich,
heitern mein Herz nicht, das arm ward (und war doch so reich!) –
(zu dir, du Schlangenkind, stieg ich ins Totenreich).


Einsamkeit rieselt herab auf mich, zaudert dahin;
Dinge verlieren den Goldglanz, ergrauen wie Zinn –
(mein Leid entlockte Tränen der Höllenkönigin).


Nimmermehr find ich den Schlüssel zum eichenen Spind,
wo, wie im Sarg, Glückstunden aufgebahrt sind –
(du nahmst den kleinen Schlüssel mit dir, du Schlangenkind).


Befreiung

Die Cyriaxkapelle steht,
       ein Trümmerbau, versteckt im Wald,
       wo heimlich tags ein Schreiten hallt,
wenn Gott im Buchenschatten geht.


Nachts kniet ein Mönch da im Gebet
       vor Rosen, die, jahrhundertalt,
       sich an ein Steinkreuz festgekrallt;
und so zum Herrn spricht der Asket:


Die Blüte, Gott, hab ich gehaßt,
die Du ersannst, Dir zum Palast,
       nackt, zart, – hehr wie der Weltenbau!


Ich habe mich kasteit, gebüßt,
weil ich Dich nicht gekannt: Du blühst
       im Leib der Rose und der Frau!


Keine Brücke führt ...

Wer Seelen greifen will und Blumenduft,
greift nichts als Luft.
Es schützt ein Zaun
das Zarteste; – drum gehn, am Ganges, Fraun
Scheinehen ein mit Dingen, ewig fern,
mit Rose oder Stern.


Dich, Venusstern, hab ich zum Lieb erwählt –
wir sind vermählt!
Der Neider Spott
soll nimmermehr uns trennen – uns eint Gott!
Du bist mein Scheinweib, – und mein nennen kann
ich deinen Glanz fortan!


Mir bist du Eva, bist Semiramis,
allschön gewiß!
Und in dir sieht
mein Auge: Chloe, Julia, Sulamith ...
Sind Seelen nicht, – wie nah ihr Leib auch sei, –
sich fern, fern wie wir zwei?


Späte Fahrt

Auf staubiger Chaussee fährt uns die Post
aus Mittagsglut empor zu Gletscherfrost.
Auf steilem Passe machen wir Station
und sehn im Abendlicht Schneekuppen lohn;
sehn goldverbrämt der Federwolken Rand;
sehn bunter Alpenblumen Farbenbrand;
dann – grüß Euch Gott! – Nachtgrau, was hell geloht;
der Postillion stieß in sein Horn, der Tod.


Vision

Zum Friedhof, blank im Mondenlicht,
führte mich einst ein Nachtgesicht.
Grabschriften las ich dort und fand
       eine, Immortellen-umkränzt ...
       weiß starrte empor, mondbeglänzt,
aus dem Grab eine Mädchenhand.


Sie hob sich drohend, schauerlich,
eine Anklage gegen mich.
Da kniete ich neben das Grab
       und schaufelte Erde darauf;
       doch immer hob die Hand sich auf
und nimmer sank die Hand hinab.


Milchig, mit Rosennägeln, schlank
war die Hand, die ins Grab nicht sank.
Und ich, – erfaßt von Grau'n und Wut, –
       nahm mein Messer, und ich zerschnitt
       wie eine Frucht die Hand damit – –
auf Grabblumen sickerte Blut.


Doch aus dem Grab, weiß wie zuvor,
ragt noch immer die Hand empor.
Seitdem vergingen Jahre schon;
    und in Nächten immer noch schwebt
    vor mir die Hand, die sich erhebt,
um mir zu winken, mir zu drohn.


Garben auf dem Feld

Feldwegs, Aeckern nah,
       trabt der junge Ritter;
Garben binden da
       Schnitterin und Schnitter.


Finster blickt die Magd
       auf den schönen Ritter.
Doch zum Mädchen sagt
       nachdenksam der Schnitter:


Sieh, das Land trägt Korn,
    Bauern trägt's und Ritter,
Stahl zu Schwert und Sporn,
    Sicheln auch für Schnitter.


Erde bringt hervor
       Golderz, Schönheit, Ritter;
Schollen wie zuvor
       lichtet stets der Schnitter.


Herde oder Hirt,
       Bauer, Maid und Ritter –
wieder Erde wird
       Garbe sowie Schnitter!


Reue

Spartas Königinnen entsproß der Jüngling,
der am Seegestade ein junges Meerweib
fand und fing und, als sie sich losriß, ihr die
              Flügel zerbrach. Sie


sprach nicht, schrie nicht, sah ihn nur an, lahm flatternd.
Aber ihm verdorrten des Lächelns Rosen:
nie mehr schwieg ihr gellendes Schweigen und der
               Schrei ihrer Augen.


In den Tiefen

Fahl im Fackellicht, von des Gesteines
Dunst genäßt, Eiszapfen ähnlich, hängen
Stalaktiten an der Wölbung eines
Bergsaals, der sich dehnt zu Höhlengängen.


Pelzbedeckte Eiszeit-Menschen knieten
einst hier vor der rosigen, blondgeschopften
Seherin. Im Schein der Stalaktiten
sprach sie Worte, die aus Himmeln tropften ...


An der Wölbung glitzern Taujuwele
(oh! aus Himmeln tauen keine reiner'n!);
murmelnd hallt das Tropfen – der Weltseele
dumpfe Worte, die schneeweiß versteinern.


Herbst

Der Herbst ist im Garten
und vergoldet die Erlen und Espen
gelbrot;
die Falter erstarrten,
die Libellen, die Käfer, die Wespen
sind tot.


Es wiegen sich träge
Georginen, die dunkel entlohten,
im Beet;
die kiesigen Wege
sind mit Laub und Akazienschoten
besät.


Hier gehe ich einsam
und erfröstle, mir pfeifen die Winde
durchs Mark.
Lacht ich je gemeinsam
mit dem Frühling, dem strahlenden Kinde,
im Park?


Sehnsucht

Brokat-Standarten wehn
       in Staubwolken, stahlumblitzt;
viel tausend Kinder gehn
       müd, blutig, von Dornen geritzt.


Sie suchen das heilige Land -
       ihr Gelüsten treibt sie hinaus
in ein Grab am Wegesrand,
       in Knechtschaft und Sündenhaus.


Mein Herz nahm die Gestalt
       eines blonden Mädchens an,
mit dem Kinderkreuzzug wallt
      es durch Oednis, Brühl und Tann.


Und Quellwasser trägt es im Helm
       für die Knaben bei Mittagsglut;
doch mancher aussätzige Schelm
       im Walddickicht lauert auf Blut ...


Aus meinem Körper stahl
       sich mein Herz bei Nacht, und es fand
nie zurück; – durch Berg und Tal
       sucht es irrend das heilige Land.


Der Springbrunnen

Das Wasser schießt zischend,
weißschäumend und gischend,
schneekühl und erfrischend,
       als Strähne empor;
aus eisweißer Mähne
perlt Träne auf Träne,
doch speit die Fontäne
       stets neue hervor –


Durch tropfende schießen
die neuen, begießen
das Becken, zerfließen
       als Wasserstaub –
zum Himmel entsandte,
zur Erde gewandte,
verstreute Demante,
       den Winden ein Raub –


Wie Sehnen und Wollen
und Müssen und Sollen
im wechselvollen
       Lebens-Spiel –
das, Sternen zusteigend,
mit Seligen reigend,
noch immer sich neigend,
       ermattend zerfiel.


Tod und Leben

       Im Treibhaus, an einem Bindfaden, schwebt
       ein Negerschädel, der modernd lebt:
       denn eine große Blume kroch
       hervor aus dem einen Augenloch.
       Man fand
       den Schädel so im Wüstensand,
       so weiß verwittert und blühend doch.


Bist du es, Negermädchen meines Traums?
Das Kupferkleid der Blöße hüllt dich ein;
dein Haar gleicht Häufchen schwarzen Wolleflaums;
aus Purpurlippen leuchtet Elfenbein.


Du bist die Häuptlingin aus Dahomey,
trägst Schild und Lanze, führst ein Mädchenheer
zur Schlacht im Busch; – dünnschenklig wie ein Reh,
toll lachend, bohrst du in den Feind den Speer.


Du schleppst mich Blutenden in deinen Kral,
ins große Tanzhaus, wo dem Tod geweiht
vierhundert Männer, deine Männer all',
auf kleinen Schemeln hocken, dichtgereiht.


Nun tanzt du, Schaum vorm Munde, rasend, – so
wie Mückenflügelschlag vor Augen flirrt.
Wir Männer jauchzen, todgeweiht und froh,
weil hell am Knöchel dir die Spange klirrt ...


       Und eine große Blume kroch
       hervor aus dem einen Augenloch.
       Man fand
       den Schädel so im Wüstensand,
       so weiß verwittert und blühend doch.


Auf der Hügelbank

Streifst mich mit sanftem Kuß,
Wind, auf der Hügelbank?
Drunten im stillen Fluß
badet ein Stern sich blank.


Langgedehnt, klagend dringt
Hundegebell ans Ohr.
Ferne im Dorfe singt
reigender Mädchen Chor.


Schlaftrunknes Birkenreis
zwitschert; und schwer und weich
fliegt eine Eule, – leis,
riesigem Falter gleich.


Nichts ist verändert hier,
seit ich ein Kind hier saß
und in des Traums Revier
selig die Welt vergaß.


Grasen doch immer noch
Pferde dort, ziehn vorbei.
Flötet der Hirte doch
immer noch die Schalmei.


Zauberschön, kindhaft schlank
schwebt aus dem Lied ein Leid,
sitzt auf der Hügelbank
bei mir im weißen Kleid;


streift mich mit sanftem Kuß,
stöhnt, – (nicht der Wind war's, nein!) ...
Drunten im stillen Fluß
badet ein Stern sich rein.


Die Verlassene

Ich hasse dich, den ich geliebt!
       Weil tot dein Herz ist, lebt mein Haß!
Gekränkt rast Liebe und - vergibt!
Doch du kränkst nicht! ... Schutt morscht, zerstiebt,
       ein Nichts bleibt –: Freundschaft nennst du das!


Zur Zauberfrau trieb mich mein Grimm;
       die lehrte mich, wie man behext.
Fluchformeln, Sprüche, hold und schlimm,
sprach ich zum Rosenbusch, der im
       Vorgarten meines Hauses wächst.


Und auf der Lauer lag ich. – Da
       kamst du des Wegs, gelockt seltsamst.
Ich sah dich stillstehn, zaudern; sah
wie schüchtern, knabenhaft beinah,
       du Rosen stahlst und mit dir nahmst.


War ich einst dein – nun bist du mein!
       Ein Schatten folgt dir, trinkt sich satt
an deines Mundes dunklem Wein!
Wie eine Blume gehst du ein,
       welk lächelnd, schön und todesmatt!


Die Kugel

Ich habe eine Kugel aus Kristall,
die scheint ein steingewordner Wasserball,
wie Engelsleib durchsichtig, apfelgroß,
zart, schön wie ein Planet im Weltenall.


In der kristallnen Wölbung Widerschein
sind Sonne, Wolken, Bäume prangend klein.
So kannt ich Menschenaugen: fehlerlos,
den Himmel widerspiegelnd und von Stein.


Mahnung

Abendkühle
weht vom Grat.
In der Mühle
schweigt das Rad.
Herz, gib acht:
kühl und sacht
ist die Nacht
dir genaht.


Webender Wald

Webender Wald,
in deinem Schatten
heilen die matten
Herzen alsbald.


Ich auch genas
bald von Gebresten,
unter den Aesten
liegend im Gras.


Horch! und ein Quell
rauscht mir zu Häupten.
Mich überstäubten
Tautropfen hell.


Selbst ward ich Tau,
Gras ward ich, Bäume,
himmlischer Räume
strahlendes Blau!


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