Den Manen meines Schutzgeistes in unwandelbarer Treue und Trauer gewidmet
von der
Verfasserin.
Die Liebe überdauert
Die Lust und auch das Leid,
Sie lebt in unseren Herzen,
Lebt in der Ewigkeit.
Sie ist der hehrste Glaube,
ie ist das reinste Glück,
Und wenn wir sie verloren,
Bringt nichts sie uns zurück.
Und nichts kann uns ersetzen,
Was uns der Tod geraubt,
Das Leben bleibt vernichtet,
Der Baum, er ist entlaubt.
Chi del amore prudenza pretende
Se amore prudente non è
E se prudente amore non è.
Es dürfte kaum ein Wort geben, das in jeder Sprache die von Menschenzungen geredet wird, so verschiedenartig aufgefaßt, gedeutet und mißdeutet wird, wie der Begriff »Liebe«. – Ich meine da nicht nur die Liebe in der wechselseitigen Beziehung der Geschlechter, nicht nur die Minne mit ihren Leiden und Freuden, sondern die Liebe in ihrer ganzen Vielgestalt, jene der Mutter zum Kinde und umgekehrt, jene der Freundin, jene der Schwester, des Bruders, kurzum: das ganze Pulsieren des Gemütslebens, das seinen Sitz im Herzen hat.
Das obenan stehende italienische Zitat heißt verdeutscht, daß derjenige von der Liebe blutwenig versteht, der sie mit Vernunft gepaart wissen will, daß vielmehr die Liebe nie vernünftig sei, und wenn die Vernunft ein Wort mitzureden habe, die Liebe in den Hintergrund tritt.
Jedenfalls läßt sich nicht in Abrede stellen, daß die Liebe in ihrer Vielgestalt, diese mächtigste aller menschlichen Empfindungen ebenso viel Unheil wie Segen stiftet. Es beginnt dieses Unheil häufig schon in der Kinderstube; denn die Mutter, die angeblich aus »Liebe« ihren Kindern alles gewährt und es unzweifelhaft in der besten Absicht tut, schafft damit weit größeres Unheil als sie ahnt, zieht Menschen groß, die dank dem Umstande, daß sie stets verwöhnt wurden und es nicht gelernt haben, sich etwas zu versagen im Kampfe des Lebens, entweder unbrauchbar oder unglücklich, sehr oft auch beides werden. Falsch aufgefaßter Liebesbegriff aber ist es, der dieses Resultat zu Tage gefördert hat. Aus angeblicher Liebe, recte Schwäche, gewährte die Mutter stets und immer, wo Versagen vernünftiger gewesen wäre, und das Endresultat ist dann, daß das auf solche Weise herangebildete Kind im weiteren Lebenslaufe auch alles erreichen zu müssen glaubt, anspruchsvoll und unzufrieden ist, und wenn es nicht stets seinen Willen durchsetzt, sich tief unglücklich und verstimmt fühlt.
Es soll gewiß nicht Aufgabe der Mutter sein, den ihrer Obhut anvertrauten Menschenpflanzen jede Freude zu verderben, jeden Frohsinn im Keime zu ersticken; aber sie beweist größere Liebe, wenn sie sie auf den Weg der treuen Pflichterfüllung leitet, als wenn sie nur verzärtelt und verwöhnt, anstatt leistungsfähige und tüchtige Menschen heranzubilden. Abgesehen davon, weisen tausende und abertausende von Beispielen darauf hin, daß die Mütter, die an höchster Verzärtelung ein übriges taten, nie diejenigen gewesen sind, die von ihren Kindern Dank geerntet haben, daß vielmehr ihre überschwengliche Affenliebe fast immer, wenn nicht roh verlacht und verhöhnt, so doch mit geringschätzender Mißachtung behandelt wurde, sobald diese Kinder herangewachsen, alt genug waren, sich selbst ein Urteil zu bilden. Sie denken nicht, daß es Liebe gewesen, die sie umsorgt und umhütet, sie nehmen es als etwas Selbstverständliches hin, daß man ihnen jeden Wunsch erfüllt, und sind sie einmal der Kinderstube entwachsen, so gibt es kein Opfer, das sie der Mutter, deren Schwäche sie belächeln, nicht aufhalsen würden; der Gedanke, daß die Liebe der Liebe Lohn sein sollte, fährt ihnen nicht durch den Sinn, sie wurden zu Egoisten herangebildet, die nur den Kultus des eigenen Ichs betreiben, nur dieses in den Vordergrund stellen, die sorglos Menschenherzen mit Füßen treten, wenn das ihr Interesse fördert.
Schlägt dann auch für sie die Stunde, in der sie Liebe kennen lernen, was allerdings selten der Fall ist, da Jene die »Ichliebe« pflegen, zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um für andere Empfindungen zu erübrigen, so kann das Erwachen der elementaren Gewalt »Liebe« ihre Rettung sein. Ich sage, es kann die Rettung sein, muß es aber durchaus nicht werden und es kommt da naturgemäß in erster Linie auf die Charakterveranlagung des Wesens an, dem sie ihr Herz zuwenden. Ist es zufällig ein vornehm denkender Mann, ein edles Weib, so kann die Liebe zum Lehrmeister werden, die Charaktere umwandelt und verbessert. Trifft aber ein Egoist oder eine Egoistin auf ein ähnliches Temperament, dann ist gar nicht abzusehen, welcher Schaden angerichtet wird, und wie tief die Beiden von Stufe zu Stufe sinken.
Es ist eine landläufige Anschauung, die sinnliche Liebe, den sexuellen Verkehr der Geschlechter als »Liebe« zu bezeichnen, und doch ist sie mehr oder minder wertlos, nur flüchtige Episode in den meisten Menschenleben! »Sinnliche Liebe vergeht, seelische Liebe besteht.« Und traurig, sehr traurig ist es um jenes Eheglück bestellt, bei dem die sinnliche Liebe in den Vordergrund tritt; die Jahre fliehen pfeilgeschwind und mit ihnen schwinden die körperlichen Reize, die den Mann fesseln, dahin; kommt er nun, wenn das hübsche Lärvchen altert, die zierliche Gestalt in die Breite geht, nach und nach darauf, daß nur physische Vorzüge es waren, die es ihm angetan, und besitzt die Frau, ist sie erst dieser beraubt, keinen höheren ethischen Wert, dann sind beide Teile zu beklagen; er, weil er sich in eine Puppe verliebt hat, der der Kultus der Schönheit über alles geht und diese nur als Mittel zum Zwecke benützte, um einen Schwächling zu umgarnen und das zu nützen, sie, weil auch ihr die Stunde schlagen wird, in der der verliebte Seladon, der blind an dem Triumphkarren seiner Dulcinea gezogen, aus dem Sinnestaumel erwacht, sich nur allzuleicht versucht fühlen wird, roh und rücksichtslos gegen die Frau zu sein, die es nicht verstanden, ihm Achtung abzuringen, sondern nur seine Sinne geblendet hat.
Elementare Leidenschaft, die alle Hindernisse in den Staub tritt, sich über jede Schranke hinwegsetzt, keine Pflicht anerkennt, sich zu Verbrechen hinreißen läßt, wird häufig als Liebe bezeichnet, während sie in Wirklichkeit nichts anderes ist, als Zügellosigkeit des Temperaments, als Mangel an Pflichtgefühl und korrekter Denkungsweise, häufig auch ein krankhafter Zustand, eine hochgradige Neurasthenie, die die Behandlung des Arztes erfordern würde.
Liebe in des Wortes reiner und erhabener Bedeutung ist sozusagen identisch mit Religion und diese an sich kann nur dann die rechte sein, wenn sie den Kultus des Edlen und Schönen, die höchste Opferfähigkeit, die höchste Seelengröße in sich birgt.
Es gibt Menschen, die es ein ganzes Leben hindurch über das Herz gebracht haben, zu schweigen, wenn ihnen ein Unrecht zugefügt wurde, nur weil ein offenes Aussprechen irgend einer ihnen nahestehenden Person hätte weh tun müssen und sie um des eigenen Vorteils willen kein fool's paradise zerstören wollten. Solche Seelengröße birgt weit mehr Liebe in sich, als die überschwenglichsten Beteuerungen und Tiraden. Ich erinnere beispielsweise auch an Francis Coppée's bekannte Fabel von dem Sohne, der im Banne einer Circe liegt, die ihn dazu veranlaßt, das ganze Vermögen, den ganzen Schmuck seiner Mutter zu verprassen, schließlich fordert sie ihn noch auf, der Mutter das Herz aus dem Leibe zu stechen, und es ihr zu bringen; sie hält ihn in solchen Liebesbanden gefangen, daß ihm die Mutter, die ihn geboren und betreut, nichts mehr gilt und er reuelos die Ungeheuerlichkeit begeht, die sie von ihm fordert. Als er auf silbernem Präsentierbrett ihr das Herz der Mutter überbringt, strauchelt er und fällt zur Erde, wobei das Herz zu Boden kollert und das Kleid der Schönen mit Blut bespritzt. »Ungeschickter, was hast du getan?« zürnt sie unwillig. »Mein armes Kind, du hast dich doch nicht verletzt?« frägt das zuckende Mutterherz.
Diese Geschichte ist so recht wahr und aus dem Leben gegriffen und unzählig sind die Fälle, in denen die echte und aufrichtige Liebe, einer unwürdigen Leidenschaft wegen, mit Füßen getreten wird. Der Prüfstein dessen, was wahre Liebe sei, ist nicht so schwer zu finden, als man vielleicht meinen könnte! Wenn das Gefühl, das unsere Seele bewegt, veredelnd, klärend, verbessernd auf uns wirkt, dann mögen wir überzeugt sein, daß es das rechte ist. Die tolle Leidenschaft aber, die unbekümmert um alles nur nach dem Besitze ringt, Liebe nennen zu wollen, ist ein in den Schlamm treten der edelsten, hehrsten und erhabensten Empfindung, deren eine Menschenseele fähig ist. »O lieb' so lang du lieben kannst, o lieb' so lang du lieben magst, es kommt die Zeit, es kommt die Zeit, wo du an Gräbern stehst und klagst«. Früher oder später lernt ein Jeder oder eine Jede diese große Wahrheit, die der weltberühmte Freiheitsdichter Freiligrath aussprach, in ihrer ganzen Tragik anzuerkennen und je älter, je ernster man wird, einen umso erhabeneren, heiligeren und schöneren Begriff macht man sich von dem, was die Liebe sein soll und sein kann, aber leider durchaus nicht immer, sondern sogar recht selten ist.
Ein paar alte Verse gibt es, die in der umfangreichen und verschiedenartigen Liebesliteratur diejenige Empfindung besingen, die die Quintessenz des Gefühlslebens ist und sehr wahr und schön dastehen. Sie lauten: »Frage, was die Liebe sei – Frage den, der liebesfrei – Frag' ihn, den die Liebe kost, – Frag' ihn, den die Lieb' erbost – Lieb' und frage deine Brust – Hat's ein Andrer recht gewußt?«
Wahre Liebe, in was immer für einer Gestalt sie uns entgegentritt, ist gleichbedeutend mit unbegrenzter Opferfreudigkeit. Wo diese nicht besteht, wo das eigene Ich höher gehalten wird, als der angeblich geliebte Gegenstand, kann wahre Liebe nicht sein.
Bei den Durchschnittsfrauen kommt Selbstsucht in der sogenannten Liebe häufiger vor wie beim Manne und unzählig sind die Beispiele, in denen die Frau dazu herabsinkt, Empfindungen zu heucheln, die sie gar nicht kennt, weil dies nun einmal in ihrem Vorteil liegt, weil sie durch solche Heuchelei diese oder jene Toilette, dieses oder jenes Vergnügen dem Manne erpreßt, der aus was immer für einem Grunde nicht dafür eingenommen war, ihr den Wunsch zu gewähren.
Wenn man im Leben vielfach Umschau gehalten und Gelegenheit gehabt hat, Erfahrungen zu sammeln, geht einem förmlich das Gruseln an, wenn man Einblick erhält in so manches Eheleben, die Ueberzeugung gewinnt, wie häufig nicht die Rechten zusammenkommen und sieht, wie fast immer die klügsten Männer den einfältigsten Frauen, die besten und edelsten Frauennaturen den erbärmlichsten Männern auf den Leim gehen. Die Heirat aus Spekulation, die heutzutage Mode ist und bei der die Liebe bei beiden Teilen gar nicht mitzureden hat, ist ebenso verächtlich, als wenn das Weib dazu herabsinkt, Gefühle zu heucheln, die es nicht kennt, nur weil dies dem eigenen Vorteil förderlich, ist ebenso verächtlich wie die Prostitution. Die Freundschaft, und mag sie es noch so gut und ehrlich meinen, mag ihr noch so viel wahre und aufrichtige Liebe zugrunde liegen, wird stets und immer in den Hintergrund gedrängt und zum Schweigen gebracht, wenn man sich herausnimmt, einem Freund oder einer Freundin gegen das Liebesfieber zu raten, wenn man auch die positivsten Beweise dafür in Händen hat, daß der geliebte Gegenstand dieses Fiebers nicht wert sei. Liebeswahnsinn, Pleonasmus! Ist denn Liebe nicht schon Wahnsinn? frägt der große Menschenkenner Heine, und in unzähligen Fällen muß man leider diese Frage bejahen.
Je toller die Liebe, je schrankenloser, je impulsiver, desto weniger echt und dauerhaft ist sie, ja sie artet in solchem Falle häufig zu krankhafter Erscheinung, zu hypnotischem Suggerieren aus; sie steigert sich, wenn ihr Hindernisse in den Weg treten und verläuft im Sand, sobald diese aus dem Wege geräumt sind. Nur durch eine gewisse sexuelle Anziehungskraft, die mit der hehren, heiligen Herzensreligion einer echten und wahren Liebe absolut nichts gemein hat, läßt es sich erklären, daß die oberflächlichsten und einfältigsten Frauen die klügsten Männer am Gängelbande führen und wiederum unbedeutende, charakterlose männliche Schwächlinge die Herzen der klügsten Frauen in Bande schlagen.
Heutzutage ist der »Flirt« bei beiderlei Geschlechtern etwas ganz Selbstverständliches und Naturgemäßes; dieses mit dem Feuer spielen aber, trägt nicht wenig dazu bei, daß die Gemüter sich verflachen und das Verständnis für jene echte, hohe, reine und erhabene Neigung verlieren, die nicht nur den höchsten Inbegriff des Glückes in sich birgt, sondern auch das Schwerste leicht ertragen läßt, stark macht in Kummer und in Leid, stark und leistungsfähig, so daß man freudigen Herzens sagt: »Alles Leid, das ich getragen, ich nehm es klaglos duldend hin, wenn Gott mir meine Lieben schützt und ich vereint mit ihnen bin.«
Aufgabe der Mutter, dieser wichtigen Gestalt in jedem Menschenleben bleibt es somit, wenn ihr an dem Wohl ihrer Kinder gelegen ist, diese heranzubilden für das hohe Lied der Liebe, gepaart mit Opferfähigkeit, jener Liebe, die allein echte und wahre Herzensreligion ist und nichts gemein hat mit dem schäckernden Getändel, das Menschenherzen bricht und in den Abgrund zieht, es dem Weibe wie dem Manne unmöglich macht, unter falscher Flagge zu segeln, um des eigenen Vorteiles willen. Zahllos sind die Fälle, in denen der Mann zum Verbrecher wurde aus angeblicher Liebe zu dem Weibe – das ihn ins Verderben stürzte, aus jener Schwäche, die für Liebe gehalten wird und doch mit der echten Liebe nichts gemein hat. Für vornehme Naturen ist die Liebe Religion, für niedere Erpressungsmittel. Das aber soll sie nie und nimmer sein; der Mann sei dem Weibe Hort und Stab, sei die Stütze und das Glück des Frauenlebens, das Weib aber sei ihm der treue Kamerad, auf den er sich in jeder Lebenslage blind verlassen, auf den er Felsen bauen kann. Nur wenn zwei so zueinander halten, ist es wahre Liebe, die sich in mancher Ehe nicht findet, auch wenn der Priester seinen Segen darüber gesprochen. »Wenn von zweien, die in Lust und Leid lange und langsam fest zusammenwuchsen eines stirbt: tot ist das andere«, sagt ein prächtiger alter indischer Spruch, der in seiner schlichten Einfachheit die schönste Apotheose der Liebe in sich birgt. – Wer diese Empfindung versteht, weiß auch, was wahre Liebe ist.
Motto: Das ist eben der Liebe Zaubermacht,
Daß sie veredelt, was ihr Hauch berührt.
Grillparzer.
Im zwanzigsten Jahrhundert, in dem man mit einer gewissen hyperklugen Geringschätzung auf alles zurückblickt, was vorher gewesen, geschieht es sehr häufig, daß Gebildete wie Ungebildete aus den verschiedenen Schichten der Bevölkerung mit Zitaten um sich werfen, die zu geflügelten Worten werden, ohne daß Jene, die sich ihrer bedienen, in vielen Fällen über die Entstehungsgeschichte, über den Ursprung, über die Deutung und Tragweite dieser Zitate sich den Kopf zerbrechen oder gar über dieselben orientiert sind.
Zu den sicherlich viel genannten und in den verschiedensten Lebenslagen zitierten Aussprüchen, dessen Sinn deutungsreicher und inhaltsschwerer ist, als man oft ahnt oder überlegt, gehört der vielgenannte Satz »Cherchez la femme«, den Alexander Dumas, der Aeltere, in seinem »Mohican de Paris« dem Chef der Sicherheitspolizei in den Mund legt. Weniger allgemein bekannt dürfte aber sein, daß, abgesehen von Sardou, der in seinem »Fereol« sich desselben Zitates bedient, auch Karl der VI. von Spanien (1759 - 1788) der Frau in den Haupthandlungen des Lebens Rechnung trägt, indem er bei den meisten Werken der Männer, oder bei dem, was sie nicht vollführten, fragte: »Wo ist sie?«.
Und in der Tat, wenn wir Umschau halten wollten bis in die fernabliegendsten Jahrhunderte, man müßte zu der Ueberzeugung kommen, daß dem Weibe, in den großen Zügen der Weltgeschichte, im Privatleben, in der Oeffentlichkeit, kurzum immer und überall, wo es Menschen gibt, sei es im guten oder bösen Sinne, eine unermeßliche Macht eingeräumt werden muß, nicht nur jetzt, wo die frauenrechtliche Bewegung an der Tagesordnung und das Weib gleiche Pfade wandelt wie der Mann, sondern auch in jener fernab liegenden Zeit, in der das Weib noch als »unterdrückt und minderwertig« galt. Immer war der Ausspruch »Cherchez la femme« der Fingerzeig für zahllose Handlungen, er war es, ist es und bleibt es, solange Geschöpfe aus Fleisch und Blut, Geschöpfe mit ihren Fehlern und Schwächen unsere alte Muttererde bevölkern werden.
Es ist eine nicht gut in Abrede zu stellende Tatsache, die sich mit unzähligen Beweisen erhärten läßt, daß der Einfluß des schwachen Geschlechtes auf das sogenannte »starke« ein allgewaltiger ist, und diese Erkenntnis sollte für die Frau der Impuls sein, der sie veranlaßt, diesen ihren Einfluß nicht zu mißbrauchen. Leider aber ist letzteres nur allzuhäufig der Fall.
Wenn man sich auch noch so sehr bemüht, der Frau volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ihre Tugend, ihre Opferfreudigkeit, ihre Pflichttreue in den verschiedensten Lebenslagen anzuerkennen, so wird man doch, wenn man auf eine lange Lebensbahn zurückblickt, zugestehen müssen, daß man unermeßlich oft Gelegenheit hat zu beobachten, wie kleinlich, wie mißgünstig, wie beschränkt die Frau sein kann und wie sehr sie oft die Macht besitzt, den Mann zu einem Gesichtskreise und zu einer Auffassung herabzuwürdigen, über denen er hoch erhaben dastehen sollte.
Das Weib als Frau, als Mutter, als hohe Priesterin ihres Heims, als einzeln dastehendes Wesen, das in unermüdlicher Selbstaufopferung und Geduld zum Engel der Barmherzigkeit für ihre ganze Umgebung wird, ist sicherlich stets das edelste und erhabenste Vorbild, das dazu berufen erscheint, Nachahmung zu finden und stolz und glücklich mag jener Mann sein, dessen Tun und Lassen, den Prüfstein des »Cherchez la femme« verträgt, der durch die Frau auch nicht um ein Haar breit dazu veranlaßt wird, von den ritterlichen Begriffen dessen, was korrekt sei, abzuweichen. Entweder er hat das Glück gehabt, wirklich nur mit Frauen in Berührung zu kommen, die zu vornehm dachten, um einen ignoblen Einfluß auszuüben, oder er ist selbst Manns genug, um instinktiv gegen jede unfaire Gesinnung, gegen jede niedere Kleinlichkeit, gegen jede habsüchtige bassesse Front zu machen. Und so soll es sein.
Seltsamerweise ist es ein Zug der Zeit, daß solche männliche Männer die Marksteine sind, welche als Wegweiser des Lebens dienen können, immer seltener werden und die Weiberknechte, die an dem Triumphwagen mehr oder minder habsüchtiger, beschränkter oder kleinlicher Green ziehen, in einer Weise überhand nehmen, die uns wahrlich veranlassen könnte, für das Glück der Gegenwart und der Zukunft gründlich besorgt zu sein.
Daß das Zitat »Cherchez la femme« nicht nur auf Wahrheit beruht, sondern auch von höchster Wichtigkeit ist, sollte einerseits die Frauen im Allgemeinen nicht nur mit Stolz erfüllen, sondern sie auch jederzeit anspornen, ihre Macht nicht zu mißbrauchen, sie nur in edler, vornehmer, würdiger Weise zu üben. Abgesehen davon, daß dies eine Pflicht des Herzens, eine Pflicht des Gemütes, eine Pflicht der Ethik ist, muß man auch bei einiger Welterfahrung mit nüchternem Verstande sich zugestehen, daß, wenn die Macht des Weibes in unschöner, selbstsüchtiger Weise ausgenützt wird, in einer Weise, die sich mit edlen Weltanschauungen nicht verträgt, diese Macht doch nicht von ewiger Dauer ist und früher oder später die Stunde schlägt, die ihre Strafe in sich birgt, die Stunde, in der dem Betörten die Schuppen von den Augen fallen und er erkennen lernt, daß Habsucht, Eitelkeit oder Ichliebe ihn am Gängelbande führten und er schließlich für seine blinde, eines Mannes unwerte, weibische Gefügigkeit doch nur Talmigold einheimst und kein Edelmetall.
Eine wahrhaft vornehm denkende Frau wird sich nie verlangen, einen Schwächling zum Manne zu haben, der nur nach ihrer Pfeife tanzt und sich von Frauenlaunen lenken läßt; sie wird sich vielmehr gerne und freudigen Herzens dem männlichen Rate und Willen fügen, ob ihr der Rat nun vom Gatten, vom Vater, vom Bruder, vom Freunde kommt. Sie wird sich andererseits aber auch der Macht bewußt sein, die das Weib im Leben des Mannes einnimmt und in voller Erkenntnis dieser Verantwortlichkeit danach streben, tüchtig und leistungsfähig dazustehen und ihren Platz auszufüllen, damit man ihr nie mit Berechtigung den Vorwurf machen könne, ihr Einfluß sei ein unedler.
Die jungen Ehen in erster Linie sind es, die sich davor hüten sollen, den Einfluß der Frau zu einem allzu gewaltigen werden zu lassen. Solange dieser Einfluß sich auf einen erbettelten Hut, eine erweinte Toilette, ein ertrotztes Theater beschränkt, hält man ihn für eine harmlose Kinderei und bedenkt nicht, daß darin weit ernstere Tragweite zu suchen ist. Erst später, wenn an Stelle der mehr oder minder lange andauernden Flitterwochen Verliebtheit, ruhige Anschauung hervortritt, lernt der Mann nach und nach begreifen, daß die Frau, die beispielsweise imstande ist, immer in erster Linie an die Schmückung des eigenen Ichs zu denken, für dieses keine Auslagen und keine Bitte scheut, gewiß nie und nimmer der treue, opfermutige Kamerad sein kann, dessen der Mann im Kampfe des Lebens so dringend bedarf.
Die weibliche Eitelkeit sollte sich einerseits riesig geschmeichelt fühlen, daß man nachweisbar seit dem achtzehnten Jahrhundert, und gewiß auch viel früher schon, der Frau durch den Ausspruch »Cherchez la femme« so große Macht über das Leben des Mannes einräumte. Diese Eitelkeit aber sollte und müßte der Sporn sein, der jedes Weib veranlaßt, nur so zu handeln und zu leben, daß man sich versucht fühlen müßte, ihren Einfluß als einen segenbringenden, fördernden, bessernden und vornehmen zu bezeichnen. Zur Ehre der Menschheit sei es gesagt, daß gewiß die meisten Männer wenigstens einzelne Frauengestalten in ihrem Leben kennen gelernt haben, die ihnen den Glauben beibringen konnten, daß das Weib das Erhabenste, Reinste, Hehrste, Edelste und Beste sein kann, was es auf Erden gibt, daß es die Verkörperung jeder idealen Lebensanschauung sein kann – kann – ja, aber nicht unbedingt ist! Den höchsten Extremen begegnet man im Weibe – hier ein Engel in Menschengestalt – dort der niederste Abschaum, dem kein Mittel zu schlecht. Und gerät das Weib einmal auf die abschüssige Bahn, dann sinkt es weit unter das Niveau des schlechtesten Mannes hinab, dann gibt es nichts, was es nicht zu seinem eigenen Vorteil auszunützen verstünde, von sinnlicher Ueberreizung im wechselseitigen Verkehr der Geschlechter angefangen, bis zur höchsten seelischen Verkommenheit. Eitelkeit und Faulheit, Ichliebe und Wollust, das sind zumeist die Impulse, die so manches Weib veranlassen, den Mann zugrunde zu richten, den sie angeblich »liebt«, ihn ins Verderben zu stürzen, und es gibt kaum ein Unrecht, das sich ein Mann zu schulden kommen läßt, bei dem das »Cherchez la femme« keine Rolle spielen würde.
Seltsamerweise sind gerade bedeutende Menschen, geistig wertvoll veranlagte Männer solche, die sich oftmals, ohne es selbst zu ahnen, willenlos von der Frau am Gängelbande führen lassen, die geistig tief unter ihnen steht. Es mag auch dies seine natürliche Begründung haben, denn jeder Staubgeborene hat ja seine Achillesferse, und so mag es kommen, daß jene, deren Geist außergewöhnlich herangebildet und entwickelt ist, irgend einen schwachen Punkt im Charakter aufzuweisen haben, der sie veranlaßt, da zu willigen Werkzeugen zu werden, wo sie feste, starke, zielbewußte Männer bleiben sollten, während solche, die einen nüchternen, praktischen Verstand an Stelle des übersprudelnden Geistes haben, sich nicht so leicht von Minderwertigen beeinflussen lassen, sondern unentwegt tun, was sie als recht erkennen und einen viel schärferen Blick für unedle Impulse, für selbstsüchtige Absichten haben, als der geistig Bedeutendere, der entweder unter dem hypnotischen, oder unter dem sexuellen Einfluß eines minderwertigen Weibes steht und sich von diesem oftmals korrumpieren läßt, ohne es selbst zu ahnen. Zu spät kommt solchen Unglücklichen dann oftmals die Einsicht und sie erkennen, daß sie sich selbst verloren haben um ein Nichts – denn von dem Augenblicke an, in dem Göttin Fortuna ihnen den Rücken wendet, nimmt auch die holde Schöne, der sie Pflicht und Ehre geopfert, schleunigst Fersengeld und läßt sie schmählich im Stich.
Uebrigens braucht es sich durchaus nicht immer um solche tragische Probleme zu handeln, sondern jede Frau, jedes weibliche Wesen, ob vermählt, ob unvermählt, wird gut daran tun, der Tatsache eingedenk zu bleiben, daß der Ausspruch »Cherchez la femme« eine wesentliche Rolle im menschlichen Leben spielt, wird gut daran tun, so zu denken, zu fühlen, zu handeln, daß man nicht vor sich selbst die Augen zu Boden schlagen muß, ob des Einflusses, den man auf seine Umgebung übt, sondern das Gefühl hegen darf, einem Jeden und einer Jeden frei und offen ins Auge blicken zu können, von dem Bewußtsein getragen, daß dort, wo man überhaupt Einfluß übe, er förderlich und segenbringend sei, dann, aber auch nur dann, möge es immerhin heißen: »Cherchez la femme!«
Zufriedenheit, du bist die Wurzel,
Aus der des Menschen Glück erblüht;
Und pflegt und nährt man diese Wurzel,
Nur dann gedeiht ein froh' Gemüt.
»Gerade mich von allen Menschen, gerade mich hat das treffen müssen!« Unzählige Male hört man in der Neuzeit diesen Ausspruch, denn die Neuzeit ist es, die jenes unabsehbare Heer der Unzufriedenen züchtet, die im XX. Jahrhundert wie die Pilze aus der Erde emporsprießen und sich epidemisch vervielfältigen.
Ist es denn wirklich und wahrhaftig richtig, daß es heutzutage gar soviele Menschen gibt, die geborene Pechvögel sind, denen nichts nach Wunsch geht, die stets verkannt, verhöhnt, falsch beurteilt werden, denen man alles mißdeutet, Menschen, auf die Gott und die Welt es nun einmal abgesehen haben, denen Gelegenheit geboten ist, sich von aller Gottes früh an bis in die sinkende Nacht hinein und über diese hinaus unausgesetzt zu ärgern? Hört man da und dort die Leute reden, so müßte man tatsächlich meinen, daß dem so sei, müßte man die Armen, von Mißgeschick Verfolgten, Unterdrückten, Geknechteten, mitleidsvoll beklagen.
Seltsamerweise aber bilden zumeist jene sich ein, vom Unglück ganz besonders verfolgt zu werden, denen Göttin Fortuna unverhältnismäßig oft und viel zugelächelt hat, die verwöhnte Schoßkinder des Glückes sind und in der Schule des Lebens so glimpflich wie nur denkbar behandelt wurden. Je weniger Leid und Kummer man erfahren hat, je weniger man es von klein auf gelernt hat, sich zu fügen und zu beherrschen, sich mit dem Schicksal in Ergebung abzufinden, umsomehr glaubt man, daß einem Unrecht geschehe, daß man vom Mißgeschick verfolgt sei.
Der Geist des Malkontenten ist weit weniger Erziehungsfehler, als daß er im Blute liegt, angeboren ist und eben deshalb läßt sich so schwer dagegen ankämpfen. Gesetzt den Fall, zwei Menschen befinden sich genau in derselben Lebenslage. Der eine findet sich gut mit der Situation ab und ist zufrieden oder nimmt deren kleine Mängel und Schattenseiten leicht und hält sich mit vernünftigem Gleichmut den persischen Spruch vor: »Auch das geht vorüber.« Er tröstet sich mit der Annahme, daß die dunklen Punkte sich in der einen oder in der anderen Weise klären werden. Das hilft ihm über dieselben hinaus, er trägt sie leichter und sie sind dadurch schon teilweise geklärt. Der andere, der sich genau in der gleichen Lage befindet, ist vom ersten Augenblicke an steinunglücklich, alles verdrießt ihn, alles findet er schlecht, nicht ein einziger Lichtpunkt zeigt sich seinem müden Blick, er meint, nur ihm allein könne derartiges geschehen und seine Verzweiflung steigert sich von Minute zu Minute. Was ändert er damit an der tatsächlich bestehenden Sachlage und inwieferne erleichtert er sich die Situation, die nun doch einmal getragen sein will?
Unzählige Menschen gibt es auch, die nicht gerade mit Glücksgütern gesegnet sind und die die daraus naturgemäß sich ergebenden Einschränkungen nur noch schwerer tragen, weil sie dem Reichen seinen Besitz neiden. Zugegeben, daß es angenehmer ist, in die Kategorie jener zu gehören, die ein Plus besitzen und nicht rechnen müssen. Wenn das aber nun einmal nicht der Fall ist und man den Kreuzer umdrehen muß, erleichtert man sich das Entbehren gewiß nicht, wenn man stets mit scheelem, neiderfüllten Blick zu jenen hinübersieht, die mehr haben. Weit zweckmäßiger ist es hinabzusehen, denn so klein und unbedeutend man auch sein mag, so genau man sichs auch einteilen muß, es finden sich immer noch solche, die weniger haben und es trägt sich keine Last leichter, man empfindet keine Entbehrung weniger, wenn man sich stets neidvoll in glühenden Farben vor Augen führt, wie gut es dem Andern geht und wie unermeßlich man selbst zu bemitleiden sei.
Das gefällige Beklagen des eigenen Ichs ist überhaupt nur eine Eigenschaft, die das tatsächlich bestehende Uebel verschlechtert, weil sie die Widerstandskraft lahm legt, die Tätigkeit verringert, die Unzufriedenheit nährt. Ueberdies begeht man damit auch eine große Torheit, denn wer kann in das innerste Seelenleben des so sehr beneideten Nächsten Einblick haben! Wer weiß, wo ihn der Schuh drückt, wer weiß überdies, ob jener nicht irgend einen Herzenskummer hat, der ihm trotz scheinbar äußeren Glanzes das Leben viel mehr verbittert, als dem andern seine kleinen Alltagssorgen, die er gerne abschütteln oder umtauschen würde, um vielleicht erst zu spät zu bemerken, daß das, was er dafür einheimst, das weit größere Unglück ist.
Ich bin in der Lage, auf mehrere Dezennien zurückzublicken, ich weiß wie man es in meiner Kindheit und Jugend gehalten hat und weiß, wie man es jetzt hält. Als einzige Tochter eines Ehepaares herangewachsen, das damals unter die Wohlhabenden gehörte, kannte ich nicht den hundertsten Teil jener Ansprüche, mit denen heutzutage Menschen behaftet sind, die weder vermöge ihrer Herkunft, noch vermöge ihrer gesellschaftlichen Stellung oder ihrer pekuniären Verhältnisse auch nur im allergeringsten dazu berechtigt sind, Ansprüche zu erheben. Die Folge der ewigen Sucht nach mehr, die heute zu den Modekrankheiten gehört, ist nicht nur die sich von Jahr zu Jahr steigernde Unzufriedenheit, sondern auch der überhandnehmende Berufswechsel, der zu keinerlei günstigem Resultat führen kann. Früher galt es als selbstverständlich, in der eingeschlagenen Laufbahn, mehr oder minder rasch vielleicht, aber doch immer in der gleichen Richtung vorwärts zu schreiten. Jetzt geschieht es unzählige Male daß ein junger Mann, der beispielsweise zum Offizier herangebildet wurde, die Entdeckung macht, daß dieser Beruf ihm nicht zusage, ihm nicht die genügenden Mittel biete für den Luxus, nach dem er begehrt, den er zum Glück unerläßlich findet, und so kommt es, daß er in gereiften Jahren nach anderem Umschau hält, um naturgemäß in dem neuen Beruf, für den man nicht mehr jung genug ist, dann auch langsam vorwärts zu kommen und auch keine Befriedigung zu finden. Für solche Menschen ist eben kein Kraut gewachsen, sie werden nie das Glück finden, weil sie in dem Wahne leben, dieses auswärts suchen zu müssen, während die einzige Quelle wahren Glückes nur in dem eigenen Herzens- und Gemütsleben, in der Zügelung unbescheidener Wünsche und neidischer Habsucht zu suchen ist.
Es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß die Unzufriedenheit, dieses böseste aller Uebel, meist im Blute steckt, aber schließlich ist ja in irgend einer Weise eine Blutskrankheit auch curable, und was die Medizin bei dieser wirkt, das könnte die Erziehung beim Geist des Malkontenten erreichen.
Man wird sich selbst und andern zum Feinde und zur Last, wenn man stets und immer klagvoll nörgelt, sich selbst bejammert und sich für das unterdrückte Opferlamm hält, das am liebsten an das Mitleid aller appellieren möchte. Wer wirklichen Schmerz, wirkliche Schicksalsschläge, wirkliches Leid erfahren hat und auch nolens volens lernen mußte, daß es angesichts desselben nichts anderes gibt, als sich in Ergebung zu fügen, der fühlt sich versucht, in mitleidiger Geringschätzung über die Milliarden von Kümmernissen zu lächeln, mit denen jene behaftet sind, die keinen echten Kummer kennen, die aber auch, sobald es ihnen geglückt ist, irgend einen Wunsch oder irgend ein Ziel zu erreichen, nach dem sie gestrebt, sofort wieder etwas anderes wissen, das sie unbedingt haben oder erreichen müssen, wenn sie sich nicht schon wieder zum Unglück geboren fühlen sollen.
»Ich und ich und wieder ich«, das ist die Persönlichkeit, die das Heer der Malkontenten zumeist beschäftigt. Wenn man in erster Linie bestrebt ist, sei es nun für das Gemeinwohl oder für das Wohl unserer Angehörigen, tätig zu sein, wenn man nicht stets an sich und seine eigenen physischen oder moralischen Leiden und Entbehrungen denkt, so erübrigt man gar nicht die Zeit, über all die unzähligen Dinge nachzugrübeln, mit denen wir berechtigter oder unberechtigter Weise unzufrieden sind, die wir erstreben, ohne sie zu erreichen.
In der Bedürfnislosigkeit liegt nicht nur das größte Glück für sich selbst, sondern auch die sicherste Gewähr, sowohl in materieller wie in ethischer Beziehung, anderen Glück bieten zu können, was jenem, der sich stets von allem belastet fühlt, was er entbehren muß, sicherlich nie gelingen wird.
Je weniger der Mensch begehrt, braucht, verlangt, desto zufriedener ist er. Die Schar der Malkontenten aber, die heutzutage in beiden Geschlechtern auf erschreckende Weise zunimmt, sollte bei den wenigen, einfachen und zufriedenen Menschen in die Schule gehen, die man leider nur mehr sporadisch findet, denen die blaue Blume der Zufriedenheit von einer gütigen Fee in die Wiege gelegt wurde und die sich an jedem Sonnenstrahl, an jeder Blume, an jeder Kleinigkeit erfreuen können, die von den Anspruchsvollen, Unzufriedenen der Beachtung nicht wert gefunden werden! Wer seine Lieben gesund weiß, wer geborgen ist vor positiver Not, wer, wenn auch nur eine Menschenseele besitzt, die ihm in treuer Liebe ergeben, die sich mit ihm eins fühlt, der segne die Allmacht, die ihm das gespendet, versuche die Götter nicht durch Unzufriedenheit und neide keinem, der anscheinend mehr besitzt, denn nur in Liebe und Frieden thront das Glück, nicht im prunkenden Ueberfluß und Goldeswert. Unglücklich und zu beklagen sind nur die Einsamen, nicht aber die Armen, wenn sie ein Herz besitzen, das ihnen angehört. Wer an der Bahre eines oder einer teuren Toten gestanden, weiß, daß es keinen Glanz, keinen Prunk, keinen Reichtum auf Erden gibt, der das Weh zu heilen vermag, das der Tod geschlagen. Und all jenen zahllosen Unzufriedenen, die mit Gott und der Welt hadern, weil sie diese oder jene Widerwärtigkeit betrifft, und die gar nicht ahnen, was wahres Unglück sei, weil ein gütiges Geschick sie bislang verschont, hat, sollte man warnend zurufen: »O, hütet Euch, zu klagen über die Nadelstiche des Lebens, die klein und nichtig sind angesichts der großen unheilbaren Wunden, die das Schicksal uns schlägt. Es kommt die Zeit, es kommt die Zeit, wo du an Gräbern stehst und klagst!«
Solange man aber nicht weiß, wie es tut, wenn man sein Liebstes in das stille Erdengrab gesenkt, solange soll man aufrecht stehen und nicht in Kleinigkeiten Unglück suchen. Rüttelt aber ein großer heiliger Schmerz an unserer Seele, der uns ins Mark getroffen, dann erst recht weiß man, daß es des Menschen unwert sei, sich die kurzen Stunden des Lebens zu vergällen, durch Unzufriedenheit über Dinge, die in nichts versinken, angesichts wahren, tiefen Leids, für das es keine Heilung gibt, das in Ergebung getragen werden will, bis der Todesengel uns die müden Augen schließt und uns der Welt entrückt, die uns leer und freudlos ward.
Das eben ist der Liebe Zaubermacht,
Daß sie veredelt, was ihr Hauch berührt.
Grillparzer.
»Meine Frau ist mein bester Kamerad!« Als ich selbst noch ein ganz junges Ding gewesen, hörte ich diesen Ausspruch von den Lippen eines alten Mannes. Zuweilen geschieht es, daß man Worte und Ereignisse festhält, die man in den Tagen der Jugend vernommen; das war auch hier der Fall. Wieder und immer wieder mußte ich an diesen Ausspruch zurückdenken, und je älter ich wurde, je häufiger ich Gelegenheit fand, Parallelen zu ziehen, Einblick in die verschiedensten Ehen zu tun, desto mehr kam ich zu der Ueberzeugung, daß das höchste Lob, das man einem weiblichen Wesen spenden kann, in dem Ausspruch zu suchen sei, daß die Frau des Mannes bester Kamerad ist. Aber wo gibt es nicht das verhängnisvolle »aber«, das als Grabgeläute aller guten Dinge angesehen werden muß und so manchem, ehrlich gemeinten Lob als dunkler Schatten nachhinkt. Aber – frage ich also, wieviele Ehen gibt es, in denen die Frau wirklich der treue Kamerad ist, der nicht nur im Sonnenschein Schritt hält mit dem Manne, sondern auch wenn Sturm und Wetter ihn umtosen, der starke, verläßliche, unwandelbare Gefährte bleibt, der sich solidarisch mit ihm Eins fühlt und durch Dick und Dünn an seiner Seite ausharrt, stark in dem Bewußtsein, daß der Gatte ein Ehrenmann, der nicht wankt und nicht strauchelt, wenn er auch die Aufmunterung und die Unterstützung der Genossin seines Lebens wohltätig empfindet.
Wieviele moderne Ehen aber sind wetterfestgenug, um Stürmen Widerstand zu bieten? Mag man noch so sehr Partei ergreifen für Fortschritt und moderne Lebensrichtung, die ja beide ganz gewiß ihre unleugbare Berechtigung und ihre Lichtseiten haben, den einen Vorwurf kann man der Neuzeit nicht ersparen, daß das ernste, heilige Band der Ehe viel zu leicht und sorglos geknüpft und ebenso leicht und sorglos gelöst wird. Beides ist ein Unrecht, das man an sich selbst oder an dem- oder derjenigen begeht, mit dem oder mit der die Reise durchs Leben anzutreten man oftmals heiß erstrebte, um nach kurzer Zeit schon den Bruch als unvermeidlich anzusehen, ihn selbst dann als unvermeidlich anzusehen, wenn man nicht die Rechtfertigung hat, daß er eine ethische Notwendigkeit geworden, weil die Basis der Achtung fehlt, ohne die ein wechselseitiges Verstehen unmöglich ist.
Einst war zumeist die Liebe der Hauptimpuls, der zur Ehe führte und darin mag auch die Ursache zu suchen sein, daß trotz kleinerer und größerer Meinungsverschiedenheiten und Mißstimmungen, die es in der besten Ehe geben kann, das Bindeglied immer wieder gefunden wurde, das die Wolken lichtete und den Himmel klärte.
Der Fortschritt hat die Verhältnisse einigermaßen geändert und bis zu einer gewissen Grenze ist die Aenderung nicht nur begreiflich, sondern sogar zu entschuldigen.
Mit den Jahren sind in allen Ländern die goldenen Zeiten, in denen man mit geringen Mitteln einen behaglichen Hausstand gründen konnte, zum Märchen aus Großmutters Kinderstube geworden. Einerseits hat die Teuerung, andererseits haben die Ansprüche in geradezu erschreckender Weise zugenommen und die jungen Menschen beiderlei Geschlechts, die so entsetzlich viele Dinge als unerläßlich zum Leben bezeichnen, sehen mit achselzuckendem, geringschätzigem Mitleid auf die frühere Generation herab, die vom »Raum in der kleinsten Hütte« faselte und kindisch genug war, sich mit eiserner Konsequenz mancherlei zu versagen, nur um zu sparen, um das Glück der Vereinigung mit dem geliebten Wesen in solcher Weise leichter zu erreichen.
Das war auch Poesie!
Die Durchschnittsjugend des zwanzigsten Jahrhunderts nimmt aber zuerst weise den Griffel zur Hand, sie rechnet, rechnet und rechnet. Weist das Resultat dieser Rechenübung ein günstiges Ergebnis auf, stimmen die Einnahmen, dann darf man seinen Empfindungen die Zügel schießen lassen, dann darf man an die Ehe denken, bei der man sich behaglich in ein von Elternsorge wohlausgestattetes Nest setzt, um dann erst recht in unzähligen Fällen ganz verschiedene Wege zu wandeln, getrennte Lebensinteresse:!, getrennte Freuden und Leiden zu haben, sich innerlich fremd zu bleiben und sogar auch äußerlich nur flüchtig miteinander zu verkehren, wenn die zahllosen gesellschaftlichen Verpflichtungen dazu die Zeit übrig lassen.
Haushalt und Kinderstube sind es nämlich nicht, die der Frau die Zeit rauben, sich den Interessen des Mannes zu widmen. Diese Dinge gehören zum »vieu jeu«, mit dem sich zu befassen, höchst unelegant ist. Für den Haushalt hat man die Domestiken und die Kinderstube steht bei modernen Menagen leer oder, richtiger gesagt, sie existiert nicht, weil es ja höchst unbequem ist »Fratzen« zu haben, die man betreuen, die man erziehen, denen man zuweilen auch ein Opfer bringen müßte.
Der Schoßhund, die Hauskatze, eventuell auch ein dressiertes Aeffchen oder eine wohlbesetzte Voliere, das ist bei den Ehen des 20. Jahrhunderts der moderne Ersatz für die Poesie der Kinderstube. Ein sehr bequemer Ersatz, weil er im Momente, wo er anfängt lästig zu werden, ohne den geringsten Selbstvorwurf entfernt werden kann. Die modernen Menschen beiderlei Geschlechts huldigen zumeist der Ansicht, daß man in erster Linie die Verpflichtung habe, für das eigene »Ich« und dessen Behagen Sorge zu tragen, folglich auch reuelos alles aus dem Wege räumen dürfe, was diesem seinem Ich störend sein könnte. Einem Kinde gegenüber läßt sich das doch nicht so leicht durchführen, deshalb ist es bequemer, an die Stelle des Kindes irgend ein Haustier zu stellen, dem gegenüber man kein hyperideales Seelenempfinden zu haben braucht, das man mit oder ohne größeren oder kleineren Schaden einfach aus dem Wege räumen kann, wenn es unbequem wird oder wenn man die Freude daran verloren hat.
Wie schwer ist sie? – Was hat sie? – Wieviel bekommt sie mit? – Das ist nur allzuhäufig die Frage, die der Mann stellt, wenn er daran denkt, eine Ehe zu schließen.
Das Mädchen aber wird unzählige Male nicht durch die Liebe, sondern durch das Verlangen nach Reichtum, nach Stellung oder Freiheit an den Traualtar gedrängt.
Was Wunder, daß Ehen, die unter solchen Auspizien geschlossen werden, entweder steinunglücklich sind oder sich rasch wieder lösen? Was Wunder, daß Mädchen, die frivol und leichtfertig, nur zur Jagd nach dem Manne, nur zur Jagd nach dem Vergnügen und der Freiheit herangebildet werden, sich nicht dazu eignen können, die treuen Kameraden ihrer Männer ihnen Trost und Stütze zu sein in ernsten, schweren Tagen, die in keiner Lebenslaufbahn ausbleiben. Was Wunder, daß solche Frauen nicht der Hort sein können, bei dem sich der Mann Rat und Beistand holt, wenn seine eigene Urteilskraft in dieser oder jener Situation nach Klarheit und ethischem Feingefühl ringt?
Nicht der Jugend darf man daraus einen Vorwurf machen, wenn sie oberflächlich und flatterhaft nur dem Vergnügen lebt und keine Widerstandskraft, keinen Opfermut, keine Seelengröße besitzt, wenn die Lebensstürme wehen.
An die Mutter aber, sollte man Worte ernster Mahnung richten, damit sie die große, heilige Mission erfassen, die ihnen geboten ist, wenn sie Töchter zu erziehen haben. Nicht im Schmücken des äußeren Menschen allein, auch nicht nur in der Sorge für die geistige Ausbildung liegt der Beruf der Mutter. Durch leuchtendes Beispiel, durch liebevollen Zuspruch, durch zarte Pflege des Gemütes wirke sie auf die Tochter ein, damit sie begreife, daß sie nicht dazu geboren sein kann, dem Manne nur als tändelndes Spielzeug zu dienen, als ein zuweilen recht kostspieliges Spielzeug, das er mit Juwelen und kostbaren Stoffen behängen darf, ohne dafür die Gegenleistung treuer Kameradschaft zu fordern.
Das Weib soll es frühzeitig lernen, ihre hohe, erhabene Mission in ihrer ganzen Größe zu erfassen, sie sei die Priesterin ihres Heims, der seelische Mittelpunkt ihrer Umgebung, die treue Gefährtin, die stets bereit ist, das eigene Wohl und Wehe, dem Gatten und den Kindern zum Opfer zu bringen.
Sie sei es, die unermüdlich bestrebt ist, jede Sorge von der Schwelle ihres Heims, jede Wolke von der Stirne ihres Gatten zu bannen. Sie sei in ihrem ganzen Wesen so liebeatmend und opferfähig, daß sie dem Manne die Lasten seines Berufes, die Lasten des Lebens, die Schicksalsschläge, vor denen kein Mensch gefeit ist, erleichtert, anstatt sie zu erschweren. Sie sei es, die ihm den Weg des Rechtes und der Pflichten weist, wenn er nach der Erkenntnis derselben ringt. Was immer es Herbes in einer Ehe zu tragen gibt, es trägt sich leichter zu Zweien, trägt sich leichter, wenn das eine solidarisch für das andere haftet, trägt sich für den Mann dann am leichtesten, wenn er nicht außerhalb seines Hauses Stütze und Verständnis zu suchen braucht, wenn er in seinem Weibe den treuesten Kameraden findet, der stets im rechten Moment das rechte Wort zu sprechen weiß, den treuesten Kameraden, der korrekt ist im Denken und Fühlen, im Tun und Lassen und das angedeutete Wort des Gatten schon versteht, ehe dasselbe ihm so recht eigentlich auf die Lippen getreten.
Arm und beklagenswert nenne ich nur jene Frau, die in ernsten Stunden fremder Hilfstruppen bedarf, die ihr erst beistehen müssen, dem Gatten diesen oder jenen Kummer, diese oder jene unabänderliche Schicksalsfügung beizubringen. Arm und beklagenswert nenne ich sie, wenn ihr ganzes Sein nicht danach angetan ist, ihr die felsenfeste Ueberzeugung einzuwurzeln, daß er jedes Leid leichter trägt, wenn sie es ihm mitteilt, wenn sie zu seiner Trösterin wird. In einer rechten Ehe, da wo sich zwei Menschen so gefunden, wie man sich finden muß, um ganz und voll glücklich und einander wert zu sein, braucht man keine vermittelnden Elemente, da ist die Frau in Freud und Leid, in Glück und Wonne, in Schmerz und Tod der treueste Kamerad, der jede Freude doppelt mitempfindet, aber auch jedes Leid milde lindert.
»Trage es mir zuliebe, tue das Rechte mir zuliebe«, das ist die Zauberformel, der das Herz des rechten Mannes nimmer widersteht. Wehe aber, wenn mit dieser Zauberformel Mißbrauch getrieben wird, wenn das Weib die berechnende Egoistin ist, die den Mann zu allem bringt, weil er nicht die Charakterkraft in sich fühlt, ihren Sirenenkünsten zu widerstehen, weil er der Schwächling ist, der sich in den Venusberg locken läßt und daran zugrunde geht.
Die Macht des Weibes war, ist und bleibt einer der bedeutsamsten Faktoren im menschlichen Leben, das wird jedermann erkennen und zugestehen, der mit sehenden Augen um sich blickt. Aber eben, weil das eine unbestreitbare Tatsache ist und bleiben wird solange Menschenherzen pulsieren, soll es Aufgabe der Mutter sein, ihre Töchter so heranzubilden, daß sie die ganze Größe dieser Macht erkennen, gleichzeitig aber zu stolz und zu vornehm sind, um sie zu mißbrauchen. Jedes Weib, dem als höchster ethischer Begriff, die Auffassung von Jugend auf eingeimpft wurde, daß wir nicht in die Welt gesetzt sind, um uns nur zu vergnügen, sondern um ernst, treu und gewissenhaft als tapfere Kameraden dem Manne zur Seite zu stehen, dem wir uns zu eigen gegeben, den wir achten und ehren können als unser höchstes Gut, jenes Weib allein verdient es, daß man sich vor ihm neige und seine Macht anerkenne.
Wer nur im tändelnden Spiel auf der Sonnseite des Lebens schäckernd dahin hüpft, besitzt nicht die Würde und die Eignung, in Stunden der Not und des Leides die verläßliche, treue Lebensgefährtin zu sein, die das Weib dem Manne sein soll, wenn es seine Mission ernst und würdevoll erfaßt.
»Wenn von Zweien, die in Lust und Leid lange und langsam fest zusammenwuchsen, eines stirbt, tot ist das andere.« So soll es sein, und damit es so sein könne, darf das Weib nicht die lockende, tändelnde, schäckernde Circe, sondern muß es der treue, feste, ernste Kamerad sein, auf dessen richtiges Empfinden der Mann in jeder Lebenslage unerschütterlich bauen darf. Die Mutter, die solche Töchter heranbildet, verdient das höchste Lob. Daß sie immer häufiger zu finden sei, das walte Gott!
Der Storch aus guter, alter Zeit
Hat Eheleuten weit und breit,
Mit Fleiß und Umsicht meist bei Nacht
So vier, fünf Kinderchen gebracht.
Jetzt, wo das Autel ominiert
Und die Elektrische floriert,
Stört Oberleitungs übler Duft,
Des Storches Reise durch die Luft.
Und kommt er in ein neues Haus,
Sieht' s voll gepfercht und närrisch aus
Und guckt der Storch verzweiflungsvoll,
Wo er das Baby hintun soll.
D'rum horcht er erst, wo Kinder schrei'n
Und steckt noch eins dort wo hinein,
Aus Angst und Vorsicht läßt er bloß
Moderne Ehen kinderlos.
Wenn man unter den jungen Eheleuten von heutzutage Umschau hält, so wird man finden, daß obenanstehende Fliegende Blätter-Verse leider ihre vollste Berechtigung haben. Ja, mehr noch! Es wird sich uns Gelegenheit bieten zu entdecken, daß es Mode geworden sei, mit der Kinderlosigkeit zu prahlen, daß es zum guten Ton gehört, sie zu wünschen, daß die Mehrzahl der jungen Frauen des XX. Jahrhunderts über die wenigen Ausnahmen ihres Geschlechtes die Nase rümpfen, welche so antiquiert sind, Vorliebe für Kinder zu besitzen, dieselben höher zu stellen, wie etwa den modernen Kultus des Schoßhundes.
Begreiflicher- und natürlicherweise findet sich auch ein Entschuldigungs- und Beschönigungsmäntelchen für diese so ganz widernatürliche Neigung der Kinderlosigkeit in der Ehe. Die jungen Frauen und die jungen Männer von heutzutage perorieren in allen Tonarten, daß die Zeiten schlecht seien, daß das Leben von Tag zu Tag teuerer, dessen Anforderungen immer größer werden, daß man mithin nicht das Recht haben könne, eine Generation ins Leben zu setzen, welche nur dem Elende, dem Kummer, den Entbehrungen preisgegeben sei; sie weisen darauf hin, daß es Egoismus ist, eine Familie zu gründen und rechnen es sich fast noch als Verdienst an, wenn sie kinderlos nebeneinander durchs Leben schreiten.
Beleuchtet man die Situation etwas genauer, so findet man jedoch, daß das Lob, das moderne Eheleute für solches Vorgehen sich einzuheimsen für berechtigt halten, ihnen doch wohl nicht so ganz in dem Maße zuteil werden sollte, als sie dies zu verdienen glauben. Es ist möglich, daß die Männer, die, obzwar sie das starke Geschlecht sind, denn doch zumeist selbst von den unfähigsten Frauen am Gängelbande geführt werden, ja sogar hauptsächlich von diesen, da eine fähige und kluge Frau zu vornehm ist, die Gängelbandtheorie zu lieben, es ist, wie gesagt, möglich, daß die Männer sich wirklich von ihrer besseren oder schlechteren Hälfte weis machen lassen, daß sie nur aus Selbstaufopferung zu der Kinderlosigkeit hinneigen. Wenn die Frauen aber, die für diese plaidieren, in den geheimsten Falten ihres Inneren Umschau halten, werden sie sich eingestehen müssen, daß es durchaus nicht edle Impulse sind, welche ihnen die Kinderlosigkeit wünschenswert erscheinen läßt. Wollen wir bei der Wahrheit bleiben, so müssen wir sogar zugestehen, daß der Keim zu diesem Impulse zumeist in Feigheit, Eitelkeit und Egoismus zu suchen ist. Die modernen Frauen fürchten den natürlichen Prozeß der Schwangerschaft und des Wochenbettes, weil sie sich selbst zu sehr lieben, um die kleinen, lästigen Unbequemlichkeiten, welche Jahrtausende hindurch das Attribut der Mutterschaft gewesen sind, auf sich zu nehmen. Sie fürchten nebstbei, daß ihre Schönheit Schiffbruch leide, daß sie dieselbe früher verlieren könnten als dies ihrer Meinung noch der Fall wäre, wenn sie ihr Leben lang nichts anderes zu tun brauchten, als ihren heiligen Leichnam zu pflegen, zu striegeln und zu putzen. Sie fürchten überdies auch manche Unbequemlichkeit, die mit dem ersten Schrei von den Lippen eines Kindes naturgemäß der Mutter erwachsen muß, selbst wenn sie noch so sehr geneigt ist, das Wesen, welchem sie das Leben geschenkt, fremden, bezahlten Elementen zu überlassen. Dazu kommt noch, daß allerdings in einer Ehe, welche nicht mehr kinderlos ist, selbst wenn man keinen Kultus mit den Kindern treibt, und diese nicht als das höchste Gut des Hauses ansieht, mancher Kreuzer, den man früher nur für sich verwandte, nun für den kleinen Nachwuchs verausgabt werden muß, mithin sich diese oder jene Einschränkung als notwendig und geboten erweist, die man nicht zu üben braucht, solange man die Obsorge für eine spätere Generation nicht kennt.
Das Verlangen nach der Kinderlosigkeit geht vollständig Hand in Hand mit der realistischen Strömung des Jahrhunderts, die ein Krebsschaden ist, an dem die Gegenwart leidet und die sich noch in kommenden Generationen rächen wird. Die jungen Mädchen wie die jungen Frauen des XX. Säculums sind leider in der Regel nicht zu Müttern geboren; es mag daran zum Teil auch die Erziehung Schuld tragen, welche im Laufe der letzten Dezennien, speziell in Bezug auf das weibliche Geschlecht, einen wesentlichen Umschwung erfahren hat. Die Pforten des Wissens wurden demselben in weit höherem Maße geöffnet, als dies früher der Fall gewesen, die Teuerung, welche sich von Jahr zu Jahr steigert, macht es überdies zur gebietenden Pflicht, daß die Frauen nicht mehr wie einst nur die Priesterinnen ihres Heims sein können, nur in diesem zu schalten und zu walten haben und im übrigen den Mann für alles sorgen lassen, dessen man zum Leben bedarf. Ein großer Prozentsatz der Frauen muß miterwerben, mitkämpfen, mitringen im Wettstreit des Lebens und tut es in vielen Fällen auch gerne, zum Teil aus Pflichtgefühl, zum Teil, weil dadurch die Mittel geboten werden, sich mehr Luxus, mehr Vergnügen zu gönnen, als wenn die Zubuße nicht bestünde, die das selbsterworbene Einkommen der Frau dem Haushalte zuführt. Der Umstand, daß das Leben des Weibes sich nicht mehr so sehr in dem engen Kreis der Häuslichkeit abspielt wie einst, der Umstand, daß ihr Wissen und Können erweitert wurde, geht aber leider sehr oft Hand in Hand mit einem Uebel, das ganz und gar nicht bestehen müßte und weder durch das Wissen, noch durch das Können hervorgerufen wird, ich meine mit jener Verrohung des Gemütes, die Schuld daran trägt, daß das Weib aufhört in erster Linie Weib zu sein, daß es tausenderlei nebensächliche und oberflächliche Dinge an die Stelle des Gemütslebens setzt, in dessen Pflege und Entwicklung doch stets und immer die Hauptmacht und der Hauptzauber der Frau zu suchen sein wird. Auf diese mangelnde Pflege des Gemütslebens ist denn auch der Umstand zurück zu führen, daß die Liebe zu den Kindern, der in jedem Weibe schlummernde Naturtrieb, heutzutage verkümmert und sich, je höher man auf der Skala des gesellschaftlichen Lebens emporsteigt, die Liebe zu den Kindern umsoweniger bei den jungen Mädchen und jungen Frauen bemerkbar macht.
Früher war das kleine Mädchen schon in der Kinderstube die geborene Mutter, welche ihre Puppen betreute und in der Zärtlichkeit, welche sie für dieselben empfand, den Keim jener Mutterschaft entwickelte, die es ihr in späteren Jahren natürlich erscheinen ließ, für ihr Kind alles zu opfern, alles hinzugeben; den Puppenkultus, welcher der wächsernen Lori, der porzellanenen Sophie eine empfindende Seele einhauchte, zu pflegen, zu hüten und zu wahren, das würde man jetzt »krankhafte Sentimentalität«, überspannten Idealismus nennen und doch hat dieser Kultus, welcher mit dem chimärenhaften Leid einer Puppe weinte, sich an ihrer ebenso chimärenhaften Freude ergötzte, nicht nur seinen unwiderstehlichen Zauber, seine poesieumwobene Seligkeit, sondern er hat auch gute Mütter und opferfähige Frauen gezeitigt, die die Liebe für die Kinder mit der Muttermilch einsogen und sie im Spiele wie im wirklichen Leben pflegten und wahrten.
Ich bedauere immer die kleinen Mädchen von heutzutage, welche zu weise, zu verständig, zu gebildet sind, um beispielsweise an die Poesie des Christkindleins zu glauben und mit Puppen zu spielen, um ihr Herz vielleicht gerade der häßlichsten ihrer Puppen entgegen schlagen zu lassen, welche schon in Großmutters Kinderzimmer figurierte und gutem alten Brauche gemäß in zeitweiser Renovierung, durch Ersatz eines zerschlagenen Kopfes oder eines gebrochenen Armes von Generation zu Generation weiter lebte und weiter geliebt wurde, bis irgend eine kleine Vandalin der Neuzeit ihr für immer energisch den Garaus machte. Aus dieser kleinen Vandalin der Neuzeit nun, wird die moderne junge Frau, welche kein Auge und keinen Sinn hat, für die Poesie des Kindermundes, für den Himmel, der aus reinen Kinderaugen spricht, für den Zauber, welcher das Attribut der Kindheit ist. Die moderne junge Frau liebt die Kinder nicht, weiß sich nicht mit ihnen zu beschäftigen, verlangt sich nicht, welche zu besitzen, geht blind an der holdseligsten Anmut vorbei und kann höchstens flüchtig irgend ein hübsches Affen- kostümchen beachten, in welches eine moderne Mama ihr Kind drapiert, von dem Bewußtsein getragen, damit ihrer Mutterpflicht in erschöpfender Weise Genüge geleistet zu haben. Die moderne junge Frau, welche den Liebreiz der Kinder nicht sieht, den Zauber der Unschuld nicht versteht und höchstens um ihre Plissees und Spitzen besorgt ist, die zerdrückt werden könnten, wenn ein Paar dicke Kinderarme sie in leidenschaftlicher Zärtlichkeit umschlingen wollen, gerät aber häufig in die höchste Extase, wenn ihr Schnufferl, Putzerl, Boy oder Gypserl toll umher jagt, auf die beliebte Frage: »Wie spricht der Hund?« laut bellt und ähnliche Kunststücke mehr aufführt. Sie kann förmlich verliebt die »süße Schnauze« ihres vierbeinigen Juwels anstarren und über derselben alles vergessen, was ihrem Herze viel näher stehen sollte.
Momentan ist es entschieden ganz fürchterlich unmodern, Kinder zu lieben, sich dieselben zu wünschen, einen Kultus mit ihnen zu treiben; trotzdem wird die Welt nicht aussterben, weil Gott sei Lob und Dank es einerseits auch unter den oberen Zehntausend doch noch einige »Unmoderne« gibt und weil anderseits im Mittelstande und im Volke jene Gefühle, welche die Natur dem Menschen ins Herz gelegt, doch noch nicht zum Schweigen gebracht wurden, und somit sich noch immer Leute finden, welche zu der Ansicht neigen, daß ein glücklicher Familienkreis der höchste Zauber des Lebens sei.
Jedes Jahrhundert und jede Gesellschaftsschichte hat von jeher ihre spezifischen Krankheiten gehabt. Der Mangel an Kinderliebe gehört entschieden zu den krankhaften Erscheinungen der Neuzeit; wenn jene, die es jetzt als das höchste Glück ansehen, kinderlos durchs Leben zu schreiten, um nur sich selbst zu leben, einmal alt werden, wenn sie empfinden lernen, was es heißt: keine Zukunft zu haben, einsam und verlassen dazustehen, wenn man die Augen schließt, dann werden sie begreifen, welches Verbrechen sie an sich selbst begangen, indem sie sich des Glückes beraubten, für eine heranblühende Generation zu leben, dann werden sie einsehen, daß Ichsucht, Eitelkeit und das Putzen des eigenen heiligen Leichnams keine Ziele sind, welche dauerndes Glück, dauernde Befriedigung gewähren; sie werden das allerdings zu ihrem eigenen Unglück zu spät einsehen, aber der Umstand, daß sie unter Vereinsamung und Lieblosigkeit zu leiden haben, daß sie sich »mea culpa, mea maxima culpa« sagen müssen, wird sie dazu veranlassen, Umschau zu halten und dafür Propaganda zu machen, daß man die Kinderwelt lieben und pflegen solle, um sich bis in das späte Alter an ihrem Zauber erfreuen zu können.
Es läßt sich ja nicht in Abrede stellen, daß allzu großer Kindersegen, da, wo die Mittel nicht dazu hinreichen, nicht nur ein Unglück, sondern auch ein Verbrechen ist; es läßt sich auch nicht in Abrede stellen, daß es arme, beklagenswerte Eltern gibt, welche an ihren Kindern so furchtbar schmerzliche Erfahrungen machen, daß der Ausspruch des Poeten: »Nicht geboren werden, müsse der Güter höchstes sein«, unwillkürlich zu ihrer Lebensüberzeugung wird, aber einzelne Fälle bilden nicht die Regel und aus Furcht vor etwaigen trüben Erfahrungen und bitteren Stunden, sich keine Kinder zu wünschen, kommt mir beiläufig ebenso geistreich vor, als wenn ein unmündiges Kind, welches noch nichts vom Leben kennt, aus Angst vor dem, was die Zukunft ihm vielleicht bringen könnte, sich das Leben nimmt. Der naturgemäße Beruf des Weibes ist die Mutterschaft und diejenigen, welche geringschätzend auf jene Frauen herabblicken, welche »nur Mütter« sind, vergessen, daß die Mutter diejenige ist, welche das Wohl und Wehe kommender Geschlechter in ihrer Hand hält, daß ihre Aufgabe die heiligste, hehrste und erhabenste ist, welche es auf Erden überhaupt geben kann, daß es auch vollkommen gerechtfertigt erscheint, wenn sie im Stolze des erhebenden Bewußtseins, zum größten Teil das Wohl und Wehe der ihrer Obhut anvertrauten Menschenpflanzen in Händen zu haben, mit liebevollem Erbarmen auf ihre armen Mitschwestern niederblickt, denen nicht das Glück zuteil geworden, ein Kind ihr eigen nennen zu dürfen. Eine Mutter in des Wortes echter, hehrster Deutung wird verstehen, daß eine kinderlose Frau sich in ihr Schicksal fügt, weil sie es tragen muß, wird aber nie begreifen, daß es Frauen geben kann, die widernatürlich genug sind, sich keine Kinder zu wünschen, die das dem Weibe innewohnende, angeborene, beschützende Liebesempfinden für das Kind in sich selbst ersticken oder es auf irgend einen Schoßhund übertragen.
Jede Schuld rächt sich auf Erden! Solche Frauen sind es nicht wert, Kinder zu besitzen; früher oder später aber wird die Strafe ihrer Selbstsucht an sie herantreten und sie werden erkennen lernen, was sie verloren, indem sie nur sich selbst gelebt, welchem Zauber sie sich verschlossen, indem sie ihr Herz abwandten von der Poesie der Kinderwelt. Daß die moderne Sucht nach Kinderlosigkeit eine Modekrankheit sei, welche möglichst rasch vergehen möge, das muß der naturgemäße Wunsch eines jeden Weibes sein, welches die Menschheit liebt und den Kultus des eigenen Ichs nicht höher stellt, als Pflicht und Herz.
Der Welt mehr geben als sie uns gibt,
Die Welt mehr lieben als sie uns liebt,
Nie um den Beifall der Menge werben,
Macht ruhig leben und selig sterben.
Fr. v. Bodenstedt.
Treue Begleiter des menschlichen Lebens sind Freude wie Schmerz, nur mit dem Unterschiede, daß erstere nicht bei allen Staubgeborenen zu finden ist und, im großen ganzen genommen, den Menschen seltener die Treue wahrt, als der Gegensatz der Freude, der mächtige Gebieter Schmerz es tut.
Die Art, wie man sich mit diesen beiden allgewaltigen und wichtigen Faktoren, die im menschlichen Leben eine bedeutende Rolle spielen, abfindet, die Art, wie man die eine, wie man den anderen hinnimmt, ist unstreitig ein Gradmesser der Bildung zu nennen. Das Samenkorn, aus welchem sich eine würdige Auffassung der Freude, ein Tragen des Schmerzes entwickelt, muß schon in der Kinderstube gesäet, gehütet und gepflegt werden.
Es ist eine traurige, aber sicherlich nicht in Abrede zu stellende Tatsache, daß, ob man nun im Palast oder in der Hütte heranwächst, sich entfaltet und weiter lebt, es Schmerzen gibt, gegen welche kein Kraut gewachsen, die mächtiger und allgewaltiger sind, als jede Menschenkraft. Ich meine da nicht die Majestät des Todes allein, ich meine auch die Seelenkonflikte, Lebensenttäuschungen, Apathie, Menschenekel und sogar momentane Stimmungen, die kommen, ohne daß wir imstande sind, genaue Rechenschaft zu geben, warum und weswegen, die aber die Eignung besitzen, gar gewaltig an unserem innersten Sein zu rütteln.
Einerseits sind diejenigen glücklich zu preisen, welche die dunklen Tiefen des menschlichen Lebens, das bittere Leid und die herben Enttäuschungen, welche uns in demselben zuteil werden, erst in späteren Jahren kennen lernen, andererseits ist es fast besser, nicht gar zu sehr vom Schicksale verwöhnt heranzuwachsen, weil man sonst Gefahr läuft, beim ersten Windstoß fassungslos zusammenzubrechen.
Die moderne Erziehung ist sehr emsig darauf bedacht, das Wissen der heranwachsenden Generation zu bereichern; damit aber die junge Menschenpflanze für den Kampf mit dem Leben zu stählen, befaßt man sich weniger und doch wäre dies jetzt, speziell bei der weiblichen Jugend, viel notwendiger wie einst, jetzt, wo die Verhältnisse es mit sich bringen, daß diese weit mehr mit dem Kampfe um das Dasein in Kontakt kommt, als es früher der Fall gewesen.
Man wendet jetzt die größte Mühe an, für die Zerstreuung und Unterhaltung der jungen Leute Sorge zu tragen und Alles, was an Lebensernst oder Pflicht erinnert, sorgsam aus dem Wege zu räumen.
Der Ausspruch, daß man nur einmal jung und diese Jugend genießen solle, ist förmlich zum geflügelten Wort geworden und man vergißt dabei, daß diejenigen, welche nur zu Genußmenschen herangedrillt werden, in der Regel sehr wenig Widerstandskraft und Leistungsfähigkeit besitzen, wenn das Schicksal es fügt, daß man mit Forderungen an sie herantreten muß, die zu erfüllen oft nicht leicht ist.
Welche normale Mutter wird es nicht als ihre heilige Pflicht ansehen, ihren Kindern, soweit dies in ihre Macht gegeben ist, das Leben zu erleichtern, zu verschönern, zu verklären, es ist dies nur natürlich, selbstverständlich und gar kein besonderes Verdienst, denn sich für die Ihren zu opfern, ist das naturgemäße Attribut der Mutterschaft, ist ein Trieb, der sich selbst bei den Tieren zeigt und da, wo das Geistes- und Gemütsleben sich mit den Instinkten paart, begreiflicherweise im erhöhten Maße zutage tritt. Das Geistes- und Gemütsleben aber ist auch, welches die Mutter darauf hinzuweisen hat, daß, nebst aller Selbstaufopferung, durch welche es ihr vergönnt ist, das Leben ihrer Kinder zu verschönern, sie auch die heilige Obliegenheit hat, dieselben zu starken, tüchtigen, leistungsfähigen Menschen heranzubilden, die berufen sind, dermaleinst würdig jenen Platz auszufüllen, welchen das Schicksal ihnen bestimmt hat, sei derselbe nun in oder außerhalb der Familie zu suchen.
Um dies zu können, sind in erster Linie zwei Dinge erforderlich. Wir müssen in den uns anvertrauten Menschenseelen den Begriff dessen, daß es Pflichten gibt, großziehen und wir müssen ihnen lehren, daß man im Schmerz, wie Freude, würdig, vornehm und sich selbst treu zu bleiben habe.
Nichts berührt beispielsweise peinlicher, als angesichts des Todes lärmende und zügellose Kundgebungen mitansehen zu müssen und ich habe in einer langen Lebenslaufbahn unzählige Male Gelegenheit gehabt, zu erfahren, daß die am zügellosesten und lärmendsten zur Schau getragenen Schmerzen fast immer am schnellsten vergessen sind und von den oberflächlichsten Menschen an den Tag gelegt werden.
Der Marinepoet Littrow hat da vor Jahren in gebundener Sprache eine beißende Satyre zum besten gegeben, der man im praktischen Leben gar häufig begegnen kann, er erzählt von einem jungen Weibe, welches dem sterbenden Gatten gelobt, daß die Blumen auf seinem Grabe stets von ihren Tränen benetzt sein sollen und sie nicht eher sich wieder vermählen wolle, als bis die Erde, in welcher dieselben blühen, trocken sei. Aber sein Tod hatte sich noch nicht gejährt und dieses Tränenbad wird ihr schon langweilig. Pflichtgetreu wandelt sie zwar noch immer zum Grabe und netzt die Blumen, aber sie nimmt einen Fächer mit und fächelt ihnen Luft zur denn sie meint, daß, wenn die Erde trockne, sie ihres Schwures entbunden sei und neuer Liebe, neuem Leben entgegen gehen dürfe. Solchen und ähnlichen Fällen begegnet man da am häufigsten, wo der Schmerz am schrankenlosesten auftritt!
Die Leute meinen, die Kundgebungen der Freude wie des Leids sei Temperamentsache, und bis zu einer gewissen Grenze hat das auch seine Richtigkeit.
»Der Mensch kann immer nur nach seiner innersten Natur«, aber die Erziehung hat doch auch ein Wörtlein mitzureden und Schrankenlosigkeit in Freude wie im Schmerz ist da, wo sie uns entgegentritt, eigentlich immer ein Armutszeugnis für die Personen, welche mit der Erziehung jener Wesen betraut waren, bei denen das Temperament jede Schranke niederreißt.
Menschen von gediegenem, ethischem Wert, von reellem Wissen, Menschen, die zu kennen oder gekannt zu haben sich der Mühe verlohnt, werden in ihrem ganzen Auftreten stets einfach und bescheiden bleiben, werden die Richtigkeit des persischen Spruches: »Fruchtbelad'ner Zweige Brauch ist's, den Kopf zu neigen«, ad oculum demonstrieren. Ebenso ist es eine ganz unumstößliche Tatsache, daß sowohl tiefer Schmerz wie höchstes Glück sich in sich selbst abschließen und jede lärmende Kundgebung scheuen. Ein stummer Händedruck, ein Blick, sie sagen mehr und sagen echter das, was das Herz empfindet, als die phrasenreichste Rede, ob es sich nun um Schmerz oder Freude handeln mag, und ich muß ganz ehrlich gestehen, daß ich jenen Menschen, die stets im gegebenen Moment mit unendlich redegewandten Kundgebungen ihres Gefühls um sich werfen, immer mit großem Mißtrauen begegnet bin, weil mir die Echtheit ihrer gewandten, zur Schau getragenen Empfindung äußerst fragwürdig erschien.
Mißverstehen Sie mich nicht, es liegt mir sicherlich ferne, in jedem warm gesprochenen Wort, in jeder Gefühlskundgebung eine Phrase wittern zu wollen, die mit dem Gefühle nichts zu tun hat. Ich meine nur, daß, wer in ernsten wie in freudigen Momenten des Lebens ein gewisses Ebenmaß an den Tag zu legen versteht, viel intensiver und viel inniger fühlt als diejenigen, bei welchen der Wortschwall nur die Oberflächlichkeit übertünchen soll.
»Lerne tragen«, das ist unstreitig eines jener Gebote, welches die Mutter dem Kinde, wenn dessen Sinn ihm noch halb unbewußt ist, in der Kinderstube begreiflich machen soll, will sie dem reifen Menschen vieles erleichtern. Das Aufbäumen gegen das Schicksal frommt zu nichts und auch der zügellose Genuß des Freudentaumels, dem manche Menschen sich in die Arme werfen, läßt schließlich nichts anderes zurück, als einen furchtbaren moralischen Katzenjammer, eine unbefriedigte Oede, welche zu wahrem Glücke nicht beiträgt. Das Kind; welches sich an der Tischecke anschlägt und dann Zorn gegen den »dummen Tisch« empfindet anstatt gegen die eigene Ungeschicklichkeit, wird, wenn die Mutter es nicht belehrt, zum unglücklichen Menschen, der gegen das Schicksal tobt und sich nicht einmal der Majestät des Todes fügen will.
Die Arbeit, das Gefühl irgend etwas, was immer es sei, zu leisten, wodurch man entweder sich selbst auf eigene Füße stellt, oder in die Lage kommt, anderen Freude zu bereiten, dünkt mir das einzige Mittel, um die Schmerzen, welche im großen ganzen genommen, die treuesten Begleiter des Lebens sind, in Ergebung zu tragen, und gehört man zu jenen Unglücklichen, deren es ja im Leben so viele gibt, die fort und fort einer Kette von Mißhelligkeiten größerer oder kleinerer Art ausgesetzt sind, so ist es immer noch würdiger, das Unabänderliche mit einer gewissen Apathie zu tragen, als durch lärmende Kundgebungen des Schmerzes dessen Heiligkeit zu entweihen.
Wer von vielen Schicksalsschlägen heimgesucht wird, ist allerdings leicht der Gefahr ausgesetzt, im Menschenhaß und Verbitterung Stellung gegen diejenigen zu nehmen, welche ihm zu traurigen Lebenserfahrungen verholfen haben und sich in scharfen, oftmals heftigen Worten über diejenigen Luft zu machen, welche an den trüben Lebenserfahrungen die Schuld tragen mögen. Trachtet man aber, sich über die Parteien zu stellen und den alten französischen Ausspruch: »Tout comprendre c'est tout pardonner« zu seinem Wahlspruch zu machen, so wird man schließlich auch im solchen Falle mit dem eigenen Ich fertig werden und es lernen, wenn auch mit blutendem Herzen, in Ergebung das zu tragen, was sich nicht ändern läßt.
Freilich ist das eine Dosis Lebensphilosophie, zu welcher man sich erst nach herbem Kampfe emporringt, aber der Grundstein wird in der Kinderstube gelegt, wenn die Mutter uns unterweist, wie wir die kleinen Schmerzen und Freuden zu tragen haben, die dem Kinderhorizont entsprechen und die Vorschule sind für den ernsten Kampf des Lebens, dem entweder früher oder später, mit jungem Herzen und frohem Mut, oder alt, müde und gebrochen in reifen Jahren ja doch kein Erdgeborener entgeht.
Kurz ist das Leben und was es gebracht:
Ein wenig Liebe, ein wenig Haß und dann gute Nacht!
Kurz ist das Leben und was wir gedacht;
Ein Hoffen und Träumen und dann gute Nacht!
Ziellos leben, ist geistiger Tod; aber verschiedenartig und vielgestaltig sind die Ziele, nach denen die Menschen streben und nicht viele führen zu jener idealen Geisteshöhe und Seelenreinheit, die allein dem Leben Wert zu verleihen imstande ist und uns lehrt, dessen mehr oder minder große Last in Ergebung zu tragen.
Daß Geschlecht, Temperament, Charakterstärke oder Charakterschwäche, Gemütstiefe oder Oberflächlichkeit, erbliche Belastung oder erotische Veranlagung und eine ganze Reihe anderer Dinge mächtige Worte mitzureden haben, wenn es sich um das Lebensziel handelt, das vor dem geistigen Auge als ideal ersteht, ist ebenso natürlich und selbstverständlich als die Tatsache, daß dieses Lebensziel je nach dem Alter und der Individualität des oder der einzelnen ein verschiedenartiges sein muß, und auch bei der gleichen Person ein abwechselndes sein kann.
Was heute als begehrenswertes Lebensziel erscheint, hat morgen vielleicht schon aufgehört, es zu sein. Die Jugend beispielsweise jagt Idealen nach, die das Alter nicht mehr kennt! Doch nein, was rede ich? Eines der Lebensziele moderner Jugend besteht ja darin, keine Ideale zu haben, an nichts zu glauben und über alles geringschätzig zu reden, was den früheren Generationen heilig gewesen ist.
»Alte Idealisten« nennen uns die modernen Jungen; wir aber sagen »Gott sei Dank, daß es deren doch noch welche gibt«, trotz aller volltönenden Reden von Gleichstellung der Geschlechter, freier Liebe, Auflösung der Familie, und wie die Phrasen schon alle heißen, mit denen die Jugend des zwanzigsten Jahrhunderts so verschwenderisch um sich wirft, und die ihr hinweghelfen sollen über all das, was sie uneingestanden ja doch entbehrt: denn ich möchte das Mädchen sehen, das trotz allem Feldgeschrei moderner Menschenbeglückung, die darin gesucht wird, daß das Weib Männerart nachahmt, ich möchte, wie gesagt, das Mädchen sehen, das nicht von Herzen gerne alle Emanzipationsgelüste abstreift, wenn der Rechte kommt, der ihr Herz höher schlagen läßt, und dem sie sich zu eigen gibt bis zum letzten Atemzug.
Lebensziele! Beleuchtet man die Sache ruhig und unparteiisch, so wird man zugestehen müssen, daß es beiläufig soviel Lebensziele als Menschen gibt. Bewußt oder unbewußt schwebt uns allen irgend ein Wunsch, ein Verlangen, ein Hoffen, ein Sehnen vor Augen, und in dem hastenden Drängen des Lebens glauben wir nur dann das Glück und den Frieden zu erreichen, wenn wir dem Ziele nahen, das wir erstreben, wenn wir dorthin gelangen, wohin wir gelangen wollen. Und ist es uns zuteil geworden, dann kommt oftmals entweder die große Enttäuschung, die Erkenntnis, daß es nicht das Rechte war, oder der Wunsch nach Neuem, nach anderem. Selten sind jene Fälle, bei denen die seelische Abgeklärtheit so echt und groß, daß man tatsächlich ganz und voll mit dem zufrieden ist, was man erstrebt und erreicht hat.
Wer lebt, strebt. Es kommt nur darauf an, wonach! »Kleine Seelen mit großem Dünkel, die gibt es in jedem Erdenwinkel.« Und diese sind es wiederum, die einen recht beschränkten Gesichtskreis haben, deren Streben selten über die Toilettenfragen oder die Knopflochschmerzen hinausgeht. Aber auch solche Menschen fühlen sich unter Umständen tief unglücklich; wenn sie nämlich ihre Eitelkeit nicht befriedigt sehen, aus dem einen oder dem anderen Grund die recht kleinlichen Ziele nicht erreichen können, die ihrem engen Gesichtskreis genügen.
Andere wieder streben aus Ehrgeiz, mehr noch denn aus Eitelkeit, auf der Leiter des menschlichen Ruhmes möglichst hoch emporzuklimmen. Es kommt ihnen so unermeßlich wichtig vor, das oder jenes zu erreichen, und sie glauben, daß die Welt aus den Angeln gehen müsse, wenn es ihnen nicht gelingt.
Dann kommen die wirklichen Seelenschmerzen, die allerdings nur von jener relativ kleinen Gilde empfunden werden, die dem modernen Zug des Ichkultus nicht huldigt, jenem Ichkultus, der keine andere Gottheit kennt als sich selbst, oder allenfalls noch die Ehrfurcht vor dem goldenen Kalbe, das man neidvoll anbetet. Wirkliche Seelenschmerzen haben ihre Wurzel im Gemütsleben; sie bringen Kämpfe und tiefes Leid mit sich, das von der Mehrzahl nicht verstanden wird, und deshalb doppelt schwer zu tragen ist. Der mächtige Zug der Zeit ist darnach gerichtet, das Gemütsleben im Keime zu ersticken, das Herz zu verrohen. Es ist auch das ein Lebensziel; aber ein gar trauriges, und auch für die fanatischesten Anhänger des Realismus, der uns heutzutage allerorts marktschreierisch entgegentritt, wird und muß die Stunde kommen, in der sie einsehen lernen, daß der Idealist im Rechte ist, der dem Kultus des Herzens huldigt, und der, wenn er noch so oft betrogen und hintergangen wird, doch einzelne befriedigende und freudige Momente im Leben hat, die ihn entschädigen für alle bitteren Erfahrungen, für allen Ekel, für alle Apathie und allen Menschenhaß, die von der Schule des Lebens gerade jenen leicht eingeimpft werden, die weichfühlend und empfänglich sind, die sich vor jedem rauhen Wort, vor jedem ignoblen Gedanken mimosenhaft in sich selbst zurückziehen, weil ihnen alles, was sich mit der zarten Blume des Gemütslebens nicht eint, physischen und moralischen Schmerz bereitet. Immer mehr vereinzelt sind auch jene, deren Lebensziel einzig und allein darin besteht, in der Familie und für dieselbe zu leben und in dieser das einzig wahre, reine Glück zu sehen.
Die Menschen und die Charaktere lassen sich nicht mit dem gleichen Maße messen. Der eine faßt das Leben so, der andere faßt es anders auf; je älter man aber wird, desto einsichtsvoller begreift man, daß der Ausspruch, den wir aus Frankreich importiert haben, »tout comprendre c'est tout pardonner« – »alles verstehen, heißt alles verzeihen« –, seine volle Berechtigung besitzt.
Wer über den Parteien steht, wird so manches Lebensziel, dem man mit Eifer nachstrebt, das man mit Feuer und Schwert, mit dröhnender Philippika oder mit gleißnerischen Worten erringen zu müssen glaubt, überlegen und mitleidig belächeln, und wenn man gar durch den Tod teure Wesen verloren hat, dann lernt man mit zuckendem Herzen einsehen, wie schal, geringfügig und kleinlich so viele von den Dingen sind, die uns Jahre hindurch wichtig, bedeutsam und des Erringens wert erscheinen.
Vor der Majestät des Todes wird der Mächtigste klein und unbedeutend, da ist er nicht mehr und nicht weniger wie der Aermsten einer und gar mancher Millionär, der von Schlemmern und Schmeichlern umgeben, nur seiner Glücksgüter wegen geliebt und verehrt wird, dürfte schon in die Lage gekommen sein, den armen Teufel zu beneiden, der freudig das Wenige, was er besitzt, mit jenen teilt, die ihn um seiner selbst willen lieben, und sich mit ihm solidarisch fühlen.
Ob nun vornehm, arm oder reich, im Tode sind wir alle gleich und die Mutter, die Verstand und Herz auf dem rechten Fleck hat, wird ganz gewiß früher oder später zu der Ueberzeugung kommen, daß das einzige Lebensziel, das des Ringens wert ist, darin besteht, die ihrer Obhut anvertrauten jugendlichen Elemente so zu lenken und zu leiten, daß die zarte Blume des Gemüts, die in jeder Seele schlummert, nicht von all dem Unkraut überwuchert werde, das auf der Heerstraße des Lebens so üppig gedeiht, und soviel gute Keime erstickt.
Die vorschreitende Kultur und Gelehrsamkeit zieht häufig die Frage eines Weiterlebens in einer anderen Welt ins Lächerliche; was aber auch Gelehrte und Ungelehrte darüber sagen mögen, die Tatsache, daß noch keiner zurückgekommen, der zur ewigen Ruhe eingegangen, noch keiner uns erzählen konnte, ob und was nachher sein wird, die steht fest. Vor den Pforten der Unendlichkeit ist der Tor ein Nichts und der Klügste auch nicht mehr als das.
Ohne heiße Tränen und bitteren Kampf wird kein Staubgeborener zu jener Resignation kommen, die schließlich doch das einzige Ziel ist, zu dem das Leben uns schult. Nichtig, Wein, unbedeutend dünken angesichts eines wahren Schmerzes die hastenden, treibenden, ruhelosen Strömungen des Lebens; das empfindet man so recht, wenn man auf der Stätte des Friedens, auf dem Gottesacker steht, und zur Erkenntnis kommt, wie Haß und Freude, Glück und Liebe, Wonne und Schmerz ausklingen in ewiger Ruhe.
Resignation! Es dünkt mich das einzige Lebensziel, das des Strebens wert, das einzige, durch welches man edle und große Seelen heranzubilden vermag, und diese Aufgabe ist sicherlich lohnender und für das Wohl der künftigen Generation förderlicher, als die tausenderlei auf Ehrgeiz und Eitelkeit basierenden Lebensziele, die auf die Dauer weder Glück spenden, noch selbst jenes Glücksgefühl bereiten können, das nur der Idealist zu fassen vermag, der gern an das Gute und Edle im Menschen glaubt und erst recht felsenfest daran glaubt, wenn er einen Gerechten sterben sah.
Das Ideal hoch und heilig zu halten und sich mit Resignation in das Unabänderliche zu fügen, das ist das einzige Lebensziel, das des Erstrebens wert; worin das Ideal für den einzelnen besteht, das bleibt sich gleich, wenn er nur vornehm ist im Tun und Lassen.
Willst du genau erfahren, was sich ziemt,
>So frage nur bei edlen Frauen an,
Denn ihnen ist am meisten dran gelegen,
Daß alles wohl sich ziemet, was geschieht,
Die Schicklichkeit umgibt mit einer Mauer
Das zarte, leicht verletzliche Geschlecht.
Wo Sittlichkeit regiert, regieren sie
Und wo die Frechheit herrscht, da sind sie nicht.
Goethe.
Frauenwürde ist ein dehnbarer Begriff, der vielfachen Auslegungen preisgegeben ist und zahlreiche Mißdeutungen erfährt.
Die einen sehen in der Frauenwürde ein auf Aeußerlichkeiten aufgebautes Wesen und meinen, sie lasse sich durch Glanz und Vornehmheit der äußeren Erscheinung, durch prächtige Toiletten, durch künstliche Herrichtung des eigenen »Ichs« erfolgreich an den Tag legen; andere glauben in selbstüberhebendem, zurückhaltendem Wesen, das gegen schlechter Situierte oder gesellschaftlich unter ihnen Stehende oft zur verletzenden Geringschätzung wird, die Würde zu offenbaren, und wieder andere besitzen überhaupt kein Verlangen nach Würde, sondern tänzeln sorglos und leichtfüßig durch das Leben. Sie genießen den Augenblick, machen sich weder durch Grübeleien noch durch seelische Konflikte und ethische Bedenken jemals eine trübe Stunde, und überlegen nie, ob das, was sie tun und lassen, korrekt und richtig sei. Sie leben nur dem Vergnügen, kennen keine ernste Lebensrichtung, keine Pflicht, keine Mission, und vermissen sie nicht; fragen auch nicht danach, ob ihr Tun der Würde und dem Anstandsgefühle der Frau entspricht, die etwas auf sich hält und wünscht, daß andere auf sie halten.
Der Dichter nennt das Weib die erhabenste Schöpfung in der Natur. Der edle Jüngling und der reife Mann ehren bis zu ihrem letzten Atemzuge die Mutter, die ihnen das Leben geschenkt. Die Tochter soll in der Frau, die sie geboren, das leuchtende Vorbild sehen, dem sie nachstreben muß, um gut zu werden und glücklich zu machen. Dies alles weist darauf hin, wie hehr der Beruf des Weibes ist, wie es nach den idealsten Zielen streben sollte, um seinen Platz in vollem Maße ausfüllen zu können.
Leider aber bietet sich den Frauen nur allzuhäufig Gelegenheit, sich ihrer Geschlechtsgenossinnen zu schämen. Gibt es doch Unzählige, zur Hefe der Menschheit Herabgesunkene, selbst unter denen, die gesellschaftlich noch immer eine hübsche Stellung einnehmen und nicht zu jenen Unglücklichen gehören, die öffentlich gebrandmarkt dastehen.
Ich erinnere nur an die vielen Fälle, in denen das Weib zum Verderben des Mannes wurde; in denen es durch Eitelkeit, Putzsucht und Gier nach Vergnügungen den Mann reuelos zum Verbrecher machte, um ihn dann im Stiche zu lassen, wie die Ratten das sinkende Schiff.
Unzählig sind die Fälle, in denen ein Weib würdelos und pflichtvergessen das Verderben des Mannes verschuldete und sich dann rechtzeitig aus dem Staube machte, um ein neues Opfer zu suchen, das es auch in den meisten Fällen findet. Die Schwäche der Männer gewissenlosen Frauen gegenüber ist ja leider oft grenzenlos und fördert das schändliche Treiben solcher Frauen. Der Mann, der einer liebevollen, treuen Mutter, einer zärtlichen, tadellos dastehenden Schwester gegenüber schroff und rauh sein kann, der liebende, treue Herzen schonungslos mit Füßen tritt, der gleiche Mann ist oftmals ein gefügiger Sklave in den Händen irgend einer nichtswürdigen Circe, die seiner Eitelkeit zu schmeicheln, die seine Sinne zu umgarnen versteht. Putzsucht, Habgier und Eitelkeit, das sind die drei mächtigen Faktoren, die aus manchem leichtfertig und oberflächlich veranlagten Kinde eine Ehrlose gemacht, die reuelos Menschenglück zertreten, nur um dem Kultus des eigenen »Ichs« zu frönen.
Daß derartige Fälle immer häufiger werden, liegt daran, daß die Anforderungen des Lebens, der Luxus und die Prunksucht im Laufe der Jahre weit größer geworden sind, als sie einst gewesen. Ich gehöre sicherlich nicht zu denjenigen, die um jeden Preis auf Kosten der Gegenwart die gute, alte Zeit verhimmeln wollen! Ebenso wie jeder Mensch, so hat auch jeder Zeitabschnitt seine Licht- und Schattenseiten; aber unstreitig gehört das steigende Luxusbedürfnis der Gegenwart zu den Schattenseiten der Jetztzeit und bildet zwei schlimme Gattungen von Menschen heran. Ich meine die Gilde der Unzufriedenen, die ewig neidvoll nach aufwärts blicken, und die unabsehbare Schar eitler, putzsüchtiger, gewissenloser Frauen, die ein Gemeingut aller Nationen, mithin ein internationales Uebel ist, das manches junge, kraftvolle Leben zugrunde gerichtet hat.
Vor einer nicht gar so langen Reihe von Jahren hat speziell in Oesterreich der Bericht eines Prozesses durch alle Zeitungen die Runde gemacht, in dem ein bis dahin makellos dastehender Mann um eines schlechten Weibes willen zum Hochverräter wurde. Kamilla Theimer, die bekannte, hochbedeutende Schriftstellerin und Humanistin par excellence, die mit Vorliebe das scharfe Seziermesser des Chirurgen an die Krebsschäden der menschlichen Gesellschaft setzt, hat über den damals sensationellen Fall seinerzeit unter dem Titel: »Dämon Weib« ein Feuilleton geschrieben, in dem der Verbrecherin schonungslos die Maske vom Gesichte gerissen wurde. Als ich damals jenes Feuilleton las, wünschte ich, daß man diese anklagenden Worte jener Elenden als Warnungstafel auf den Rücken ätzen könne, damit sie zeitlebens als abschreckendes Beispiel gebrandmarkt dastehe und daran gehindert werde, sich andere Opfer zu erkiesen. Leider Gottes sind solche drakonische Maßregeln nicht ausführbar. Man muß diese verderbenbringenden Giftpflanzen wuchern lassen, so lange sie die Gesetze klug zu umgehen verstehen, und welches Gesetz ließe sich nicht umgehen?
Es besteht wohl kein anderes Mittel gegen das üppige Umsichgreifen dieser würdelosen Frauen, als daß man nach Möglichkeit danach strebt, den Begriff echter, reiner, leuchtender Frauenwürde hochzustellen und als Vorbild wirken zu lassen.
Das Weib soll in erster Linie keusch bleiben; wenn eine Frau über unreine, laszive Scherze lacht, die ein Männermund ausspricht, so entäußert sie sich dadurch jeder Frauenwürde und sinkt in der Achtung des Mannes, der es mitunter zwar ganz belustigend finden mag, mit ihr zu tändeln und zu schäkern, der aber, wenn er von echter Art ist, sicherlich sich davon zurückgestoßen fühlt, daß das Weib, jeder Würde bar, Männerart nachahmt.
Unsere Selbstachtung muß uns verbieten, Dinge zu sagen, zu tun oder auch nur anzuhören, die uns zwingen würden, vor einem reinen Kinderauge zu erröten. Der Lehrplan, den unsere jungen Mädchen in sich aufzunehmen haben, ist heutzutage unerschöpflich; aber der Pflege des Gemütes, jener des Herzens und seinen idealen Tugenden wird nicht die hinreichende Beachtung geschenkt.
Die emanzipierte und burschikose Art, die häufig bei der weiblichen Jugend an der Tagesordnung ist, tritt an Stelle jener Frauenwürde, die noch stets Edles geschaffen und Tüchtiges geleistet hat, und als segenbringender Keim jedem weiblichen Wesen eingeimpft werden sollte, will man das Glück der Zukunft sichern.
Es gibt gewisse Aussprüche, die, mag die Welt noch so alt werden, doch immer das Gepräge echter Herzenswahrheit in sich tragen. Zu diesen gehört unstreitig das alte Zitat: »Der Mann pflege das Recht, das Weib wahre die Sitte.« Um sie aber wahren zu können, muß man volles Verständnis für den Begriff der Frauenwürde haben; muß man sich zu gut halten für putzsüchtige Allfansereien, für kleinlichen Tratsch, für kostspieliges Schmücken des eigenen »Ichs« darf man nicht hochmütig und selbstüberhebend, muß aber stolz sein, zu stolz, um zur Habsucht und zum Egoismus herabzusinken, zu stolz, um ein mit Juwelen behangenes Götzenbild zu werden, das den Mann ins Verderben führt, anstatt sein treuer Kamerad zu bleiben im Leben und im Tod.
Die Erziehung der weiblichen Jugend wird, im großen und ganzen genommen, nicht ernst genug aufgefaßt. Man gestattet den jungen Mädchen manches tändelnde Spiel, das man für harmlos hält, Freiheiten, die sich mit der Würde einer künftigen Frau und Mutter nicht vertragen. Man nimmt sich eben nicht die Mühe, ernst zu überlegen und vorauszudenken. Täte man es, so würde manches Unheil vermieden werden, würde manches Herz nicht verbluten, das eine falsche Auffassung vom Leben erhalten, und sich mit der Wirklichkeit nicht abfinden kann.
Selbst die vielerörterte Dienstbotenfrage ist mit dem Umstände in Einklang zu bringen, daß man mit dem Begriffe echter Frauenwürde es viel zu wenig genau und gewissenhaft nimmt. Denn auch der dienenden Klasse soll von Kindheit an ihrem Verhältnisse und ihrer Stellung entsprechend der Begriff beigebracht werden, daß die Würde des Weibes eine Pflicht sei, und daß Vernachlässigung der uns vom Leben auferlegten Pflichten, Selbstüberhebung und Präpotenz ein Schwinden jener Würde seien, die jedes weibliche Wesen seiner Stellung und seinen Verhältnissen entsprechend üben soll. »Große Gedanken und ein reines Herz, das ist, was wir uns von Gott erbitten sollen,« sagt Goethe; vornehm und würdevoll im Fühlen können aber auch jene sein, denen die Natur die geistige Begabung großer Gedanken versagte. Nach vornehmer Frauenwürde zu streben, sei das Ziel eines jeden Weibes. Erreicht es dieses, dann kann es mit ergebener Würde die Bürde des Lebens tragen, denn es hat das Beste angestrebt und gewollt. Bleiben trotzdem Kummer und Sorgen nicht aus, so wird das Bewußtsein treu erfüllter Pflicht eine Resignation gewähren, die uns ohne Klage den mühevollen Weg des Lebens wandeln lehrt.
Motto: Sei deiner Welt, soviel du kannst, ein Engel,
So wird sie dir trotz aller ihrer Mängel,
Soviel sie kann, ein Himmel sein.
Es ist eine betrübende und oft unbequeme Tatsache, daß die meisten Menschen Rücksichten von anderen fordern, ohne selbst solche zu üben. Die moderne Erziehung, die für die Entfaltung des Geistes, für die Pflege des Wissens eifrig bestrebt ist und in dieser Hinsicht namhafte Resultate zutage fördert, vernachlässigt leider in höchst bedauerlicher Weise die Pflege des Gemütes, jener zarten Mimose, die mit unendlicher Sorgfalt großgezogen werden muß, soll sie den entsprechenden Segen bringen. Der Pflege des Gemütes aber, der Erziehung des Herzens entspringt jene zarte Rücksichtnahme, die man für seine Umgebung haben sollte und die manche Bitternis wohltuend zu lindern weiß. Es läßt sich nicht in Abrede stellen, daß die Menschen vielleicht die glücklichsten sind, die schonungslos alles aus dem Wege räumen, was ihren eigenen Vorteil hemmt, die stets nur an sich denken und einen wahren Götzendienst mit ihrer werten Person zu treiben verstehen.
Diese stete Sorge um das »Ich«, die alle anderen Gefühle niederdrückende Liebe seiner eigenen Person entwachsen der Strömung der Gegenwart, unserer schnellebigen Zeit, in der der Kampf obenan steht und niedertritt, was ihm den Weg versperrt. Die Erziehung der Jugend sündigt viel, sie dämmt nicht das Aufblühen des krassen Egoismus, dem die heutige Menschheit unterworfen scheint. Einst meinten Eltern und Erzieher, es sei ihre Pflicht, die ihrer Obhut anvertrauten Menschenpflanzen zu tüchtigen, leistungsfähigen Geschöpfen heranzubilden, die jene Stelle ganz und voll auszufüllen imstande sein würden, an die das Schicksal sie gestellt. Die Mission, welche die Jugendbildner von einst auf sich nahmen, war eine ernste, und sie begriffen gar wohl, daß die Ziele, die sie sich gesteckt, nur dann erreicht werden würden, wenn System in allem Tun und Lassen zur Geltung komme. Wenn sie nicht nur selbst mit ernstem Beispiel vorangingen, sondern auch aus Grundsatz mancherlei Opfer von den ihrer Obhut und Fürsorge anvertrauten jungen Wesen forderten.
Einst wurde man von frühester Kindheit an in dem Begriff großgezogen, daß man nur dann berechtigt sei, Zerstreuung und Freude zu ernten, wenn man seinen Obliegenheiten gewissenhaft nachgekommen; die Arbeit war Pflicht, die Zerstreuung seltener Lohn. Dadurch aber, daß sie nicht Alltagskost, sondern Zuckerbrot war, das man selten genießen durfte, lernte man sie doppelt schätzen, fühlte sich angespornt, sein Bestes zu tun, um den Lohn einzuheimsen, dessen man nur dann teilhaftig ward, wenn man ihn sich mühsam erworben. Man wurde von klein auf in der Idee herangebildet, daß man zuerst an andere, zuletzt an sich selbst zu denken habe, daß man dem Mitmenschen im allgemeinen, alten Personen im besonderen Rücksicht schulde, daß man das oder jenes nicht tun könne aus Rücksicht für andere, dem Gebote treu: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.«
Die moderne Jugend aber sieht Rücksichtnahme auf andere einen lästigen Zwang an, den sie nicht ausüben mag, beansprucht aber diese Rücksicht bei jeder Gelegenheit für sich selbst.
Wir Frühergeborenen lernten in der Kinderstube nicht nur, daß man das Alter zu ehren, sondern auch daß man sich den möglicherweise bestehenden Launen der Alten widerspruchslos zu fügen habe, weil dies ein Gebot der Moral, wenn schon nicht der Religion sei. Es wäre uns nie eingefallen, selbst bei einer uns von älteren Leuten zugefügten Ungerechtigkeit mit einem heftigen Worte zu erwidern. Jetzt ist das gang und gäbe geworden. Man sieht es gewissermaßen als eine Verpflichtung der Alten an, die Jugend sich ausleben, sie zu ihrem Rechte kommen zu lassen, das heißt, meistens den Launen der Jungen mit entsprechender Rücksicht zu begegnen. Dadurch steigern sich diese Launen, wie auch die Anforderungen der Jungen in geradezu unheimlicher Weise. Einst War es nichts Seltenes, daß Söhne, die kein Vermögen hatten und nur von ihrem Verdienste lebten, sich manches versagten, um eine alte Mutter zu unterstützen, einem kränklichen Vater eine Badereise zu ermöglichen, einer unmündigen Schwester besseren Unterricht zuteil werden zu lassen u. s. w. Heutzutage sind nicht nur solche Vorkommnisse zur Seltenheit geworden, nein, die Jugend fordert vom Alter, und die Alten sind eigentlich nur mehr dazu da, um den Jungen die Pfade zu ebnen und ihnen, wenn das geschehen ist, möglichst rasch aus dem Weg zu gehen. Das ist der Zeitgeist, der sich in allen Gesellschaftsschichten, bei allen Altersstufen bemerkbar macht.
An Stelle jener Rücksichtnahme, die der Herzensbildung entsprang und daher äußerst wohltuend war, ist das Formenwesen getreten. Aeußeren gesellschaftlichen Schliff besitzt man jetzt mehr als einst, aber es ist eben nur die »äußere Form«, und denkende Menschen mit warm pulsierenden Herzen werden sich durch die devote Tiefe einer Verbeugung, durch den höflichen Vortritt, den der jüngere dem Aelteren gewährt, durch den untertänigen Handkuß nicht leicht über die Rücksichtslosigkeit hinwegtäuschen lassen, die in ernsten Lebensfragen kraß zutage tritt. »Ich bin ich« und ich setze ruhig den Fuß auf den Nacken des Nächsten, räume ihn reuelos aus dem Weg, breche ihm das Herz, wenn dies nur mir selbst Vorteil bringt und für mein Gedeihen förderlich ist.« So ungefähr lautet das Glaubensbekenntnis der Modernen, für die gewiß auch der Tag der Vergeltung anbrechen wird; denn jede Schuld rächt sich auf Erden, und wenn die Jugend von jetzt unter der Rücksichtslosigkeit ihrer Kinder leidet, wenn diese sich über sie ergießt, dann wird auch die Stunde schlagen, in der sie zu Felde ziehen wird gegen die Verrohung, die sie jetzt liebevoll, hätschelnd großzieht.
Dieser Tag wird anbrechen, das »Wann« freilich ist die große Frage; aber ausbleiben kann er nicht, und es wäre zu wünschen, daß die Reaktion nicht allzu lange auf sich warten läßt. Nicht nur im wechselseitigen Verkehr gleichgestellter und gebildeter Kreise macht sich die moderne, aus systematisch angedrillter Selbstsucht erwachsende Rücksichtslosigkeit in mehr oder minder peinlich berührender Weise bemerkbar. Nein, nicht nur unter den Gebildeten und unter jenen, die gebildet sein wollen, tritt sie so zutage, indem beispielsweise die Tochter es als ein allzu großes Opfer empfindet, ihren kranken Vater zu pflegen, die Frau sich dagegen auflehnt, auf Vergnügungen zu verzichten, weil der Gatte es wünscht oder die Pflege der Kinder es erfordert. Auch in den unteren Schichten der Bevölkerung treibt die Rücksichtslosigkeit üppige Blüten und die naturgemäße Folge davon ist die große, in jeder Familie eingreifende Dienstbotenfrage, die sich recht oft zur Dienstbotenplage zuspitzt, denn Rücksicht auf die Wünsche und Bedürfnisse der Brotgeber zu nehmen, ist heutzutage unter den Domestiken ebensowenig modern, wie die Rücksichtnahme gegen die »unnützen« Alten, die nur als ein Ballast aus Großvaters Rüstkammer angesehen werden.
Ich bin grenzenlos streng erzogen worden und habe in jungen Jahren wenig Freude genossen, aber je mehr ich heranreifte, desto aufrichtiger dankte ich es meinen Eltern, daß sie, dem Verweichlichungssystem abhold, mir von klein auf den Begriff einimpften, der Mensch von ethischem Wert sei verpflichtet, in erster Linie rücksichtsvoll seiner Umgebung zu begegnen und dürfe sich niemals auf das Piedestal der Selbstanbetung stellen. Das Leben hat mir hart und grausam mitgespielt; es gibt keinen Schmerz, den ich nicht bis zur Neige kennen lernte, und dennoch glaube ich heute noch in dem Bewußtsein treuer Pflichterfüllung mehr wahre Befriedigung zu finden als die moderne Jugend, die weder Pflichten noch Rücksichten kennt, sondern nur beides von anderen fordert. In der leidensvollsten Lebensschule ist jener Funke Idealismus, der die Opferfähigkeit großzieht und die Liebe zu den Menschen warmhält, das einzige, was das irdische Dasein erträglich macht.
Arm und beklagenswert nenne ich nur jene, die fordern und nicht geben. Unter der Bezeichnung »Geben« verstehe ich nicht klingende Münze, mit der man um sich wirft, sondern das warme, pulsierende Herz, das zwar in zehn Fällen neunmal zurückgestoßen wird, aber sich für diese neun Wunden, die der Unverstand ihm schlägt, entschädigt fühlt, wenn es beim zehntenmal gewürdigt wird.
»Die Not des Nächsten lerne stillen,
Und niemals frage nach dem Lohn.
Tu' Gutes um des Guten willen,
Das ist der Liebe Religion.«
Diesen Wahlspruch werden nur solche zu üben fähig sein, denen eine verständige Mutter von klein auf den Begriff beigebracht hat, daß nur in dem liebevollen Mitleben mit dem Nächsten warme und dauernde Befriedigung, die Freude des Lebens zu suchen sei. Zarte Rücksichtnahme ist nicht eine Eigenschaft, die nur der Frau gebührt. Der Mann von echter Herzensbildung wird sie in ebensolchem Maße üben, wie das Weib. Aber da die Frau es ist, der man das Wahren der Sitte, die Pflege des Herzens in erster Linie zur Lebensaufgabe Stellt, so soll sie es auch sein, die an sich und an den ihrer Obhut anvertrauten Wesen mit Eifer gegen alles zu Felde zieht, was das Gepräge der Rücksichtslosigkeit und Selbstsucht an sich hat. Wenn sich viele Frauen solche Lebensaufgaben stellen, so ist das Glück einer kommenden Generation gesichert, und was läßt sich Schöneres wünschen, als Friede und Freude um sich zu verbreiten und das Wohl der anderen in großen wie in kleinen Dingen dem eigenen Behagen voranzusetzen.
Stark, wenn es gilt sich selbst bezwingen,
Schnell, wenn es gilt ein Opfer bringen,
Treu, wenn es gilt der Lieb' und Freundschaft leben,
Mild, wenn es gilt dem Freunde zu vergeben.
F. M. Wrangel.
Man findet vielfach die Anschauung vertreten, daß, wenn ein Jüngling oder ein Mädchen die Reifeprüfung hinter sich habe, die Erziehung des betreffenden Wesens beendet sei. In Wahrheit aber fängt dieselbe erst an. Was man in der Kinderstube und in der Schule lernt, ist der mehr oder minder feste und gelungene Grundstein, auf welchen sich dann der Bau des ganzen weiteren Lebenslaufes stützt, und dieser Grundstein ist allerdings von höchster Wichtigkeit.
Wenn man aber die Kinderjahre hinter sich hat und in das volle Leben hinaustritt, dann ist doch eigentlich erst der Moment gekommen, in dem die Selbsterziehung beginnt, oder wenn man dazu nicht die erforderliche Entschlossenheit besitzt, vorn Leben erzogen wird, was im Grunde genommen unstreitig die unsanfteste Lehrmethode ist, durch die man oft recht unliebsam an wohlmeinende Ratschläge und Mahnungen zurückerinnert wird, denen man in der Kindheit kein Gehör geschenkt.
Ein kleiner, an und für sich unscheinbarer Buchstabe des Alphabets ist es, welcher in der Erziehungsfrage eine hochbedeutende Rolle spielt. Es ist dies der kleine Buchstabe »v«, der, vor den Begriff des Erziehens gesetzt, das unheilvolle Verziehen zutage fördert, welchem schon so manches Lebensschicksal zum Opfer fiel. Jene, welche das Verziehen üben, sei es nun in der Kinderstube, den kleinen Menschenpflanzen gegenüber, sei es im Leben, im Verkehr mit den Erwachsenen, pflegen damit selten etwas Erfreuliches zutage zu fördern, denn diejenigen Charaktere, welche so abgeklärt sind, um das Verziehen zu vertragen, ohne daß es ihnen schadet, kann man in der Kinderstube zu finden nicht erwarten und auch im Kampfe des Lebens begegnet man ihnen sehr selten.
Wer verzogen ist, sei dies nun Männlein oder Weiblein, besitzt sehr wenig Widerstandskraft, besitzt in der Regel auch nicht den Mut, den Wechselfällen des Lebens die Stirn zu bieten, ohne sich von denselben zu Boden drücken zu lassen. Eine normale Erziehung, welche allerdings nach modernen Verweichlichungsbegriffen »abnormal« und »spartanisch« genannt werden würde, fördert jedenfalls einfachere, anspruchslosere und glücklichere Menschen zutage, als jene »Unzufriedenen«, welche gegenwärtig in schwerwiegender Mehrzahl zu finden sind.
Die Sucht nach Reichtum, nach Besitz, nach Luxus, nach all jenen tausenderlei Genüssen, welche nur das Geld zu verschaffen imstande ist, muß leider als das Wahrzeichen unserer Zeit angesehen werden, und daß es so geworden, daran sind vielfach jene unvernünftigen Eltern und Erzieher, jene schwachen, töricht verliebten Ehemänner schuld, die sich dem Wahne hingeben, im Verziehen beruhe das Glück des Lebens, während in Wirklichkeit der eine obenanstehende, überzählige Buchstabe das Verderben von Tausend und Abertausenden besiegelt.
»Man lebt nur einmal, man muß das Leben genießen«, das sind die epidemisch wuchernden Phrasen, welche Gutes stiften sollen und Unheil zutage fördern. Je weniger Ansprüche der Mensch hat, je weniger er von Jugend auf daran gewöhnt wird, für sein eigenes »Ich« zu verlangen, desto glücklicher wird er sein. Fügt es das Schicksal, daß das junge, in einer Atmosphäre der Verwöhnung aufgewachsene Wesen, wenn es in das Leben hinaustritt, sich in bescheidenen Verhältnissen zurechtfinden muß, so ist es steinunglücklich und verfällt nur zu leicht in das schlimmste Uebel der Selbstbejammerung. Ist man jedoch einfach und bescheiden erzogen worden, so gerät man gar nicht auf den Einfall, in Weltschmerz zu vergehen, weil man nicht allen Luxus mitmachen kann, welcher den Bessersituierten in den Schoß fällt. »Blicke zu jenen hinab, welchen es schlechter geht wie Dir und nicht empor auf die anderen, die mehr haben«. Das war die Antwort, welche mir einmal zuteil wurde, als ich auch Lust in mir verspürte, mich in Selbstbemitleidung zu ergehen. Ich habe die Richtigkeit dieses Einwurfes beherzigt, mich seither immer danach gehalten und bin gut damit gefahren, denn Neid und Mißgunst gegen Besser- situierte sind Dinge, die mir fremd geblieben, vielleicht auch, weil ich zu hochmütig hierzu bin, weil ich nicht anerkenne, daß Glanz und Reichtum das Glück des Lebens ausmachen. Ich kenne Millionäre und Millionärinnen, für welche ich in erster Linie grenzenloses Mitleid empfinde, denn mag ihr Ueberfluß ihnen auch die Befriedigung jeder Laune gewähren, ein treues Herz, das selbstlos bereit wäre, für sie zu leben und zu sterben, hat ihnen der Mammon nicht gesichert, und ein solches sein eigen zu nennen, ist doch mehr wert, denn alle Schätze Golcondas.
Doch diese Randbemerkungen bringen mich ja von dem eigentlichen Thema ab, welches ich erörtern wollte, vom Erziehen und Verziehen. Für das in der Kinderstube wohlerzogene Kind, dem das Verziehen ein unverstandener Begriff geblieben ist, dem man anstatt dessen Pflichtgefühl und Anspruchslosigkeit eingeimpft, braucht man im Leben nicht zu bangen, es wird sich als herangereiftes Wesen in jeder Situation zurechtfinden, den eventuellen Schicksalsschlägen gewachsen sein und auch, wenn es in die angenehme Lage kommt, von liebenden Menschen verzogen zu werden, dieses Verziehen zwar dankbar anerkennen, aber sich nicht durch dasselbe verderben lassen. Anders ist es um solche bestellt, die in der Kinderstube schon verzogen wurden und wieder anders um jene, welche in der Kinderstube weder er- noch verzogen wurden, sondern die man nur unbehütet und ungepflegt aufwachsen ließ.
Verzogene Kinder werden fast immer unglückliche Menschen, wenn ihnen im Leben nicht alles nach Wunsch geht und solche, die von Haus aus, unbeachtet und unbehütet, unerzogen und ungeliebt aufgewachsen sind, deren Geist und Herz man nicht pflegte, werden, wenn ein günstiges Geschick sie später in andere Verhältnisse bringt, in denen man ihnen mit Liebe entgegenkommt und geneigt ist, sie zu verziehen, meist auf das vollständigste das Gleichgewicht ihrer Seele verlieren und immer anspruchsvoller, immer unbescheidener, immer verlangender werden, an je weniger sie von Haus aus gewöhnt waren. Wer aus dem Nichts hervorgegangen, bläht sich oft, und die Männlein und – Weiblein von großem Dünkel, welche man, wie das Zitat sagt, in jedem Erdenwinkel findet, sind ganz zweifellos meist Leute, deren Vorgeschichte gar nicht angetan ist ihnen Veranlassung zu besonderer Vornehmtuerei zu geben.
Junge Ehemänner beispielsweise, welche Mädchen heiraten, die entweder in einfachen, bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, oder aus was immer für Gründen unbehütet und ungeliebt ihre Kindheit und erste Jugend verbrachten, tun sehr unklug daran, solche Frauen mit einem Schlage systemlos zu verziehen, bevor dieselben den Beweis geliefert, ob sie einerseits dieses Verziehens auch wert, ob sie andererseits es vertragen, ohne daß ihr vielleicht an und für sich ganz gutmütiger Charakter stark genug sei, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, unbescheiden und anspruchsvoll zu werden.
Ich habe junge Geschöpfe gekannt, welche als Kümmerlinge aufgewachsen, denen man nicht nur keine Liebe bot, die man weder erzogen noch verzogen, sondern weit eher mißhandelte. Wurden diese dann in eine Atmosphäre unvernünftiger, systemloser, überschwänglicher und verzieherischer Liebe verpflanzt, so geschah es meist, daß eben diese systemlose Liebe die in ihren Herzen schlummernden guten Keime erstickte und an deren Stelle nur Selbstsucht und Selbstüberhebung großzog. Es lassen sich da jenen armen Wesen gar keine Vorwürfe machen, sondern der Vorwurf trifft die anderen, die nicht vernünftig genug waren einzusehen, daß das Verziehen höchstens ernsten, erfahrenen, in sich selbst abgeklärten Charakteren gegenüber schadlos geübt werden kann.
Selbstverständlich darf man auch in der Kinderstube nur jenen das Verziehen zum Vorwurf machen, die es üben, nicht den anderen, die sich's gerne gefallen lassen. Dem Kinde schmeckt das Zuckerbrot immer besser wie kraftvollere Nahrung, und es kann nicht wissen, nicht überlegen, daß es sich mit demselben den Magen verdirbt. Diese Ueberlegung aber, welche verhängnisvoll eingreift in das ganze weitere Leben der jungen Welt, ist Pflicht der Erwachsenen, die auch wissen sollten, daß die Schule des Lebens die härteste Lehrmeisterin ist, welcher sicherlich all' jene unterliegen, in deren Kindheit das Verziehen eine allzu große Rolle gespielt. Verstehen wir uns recht, ich verlange gewiß nicht, daß man Kindern Liebe entziehen soll, im Gegenteil, man soll sie förmlich einhüllen in einen Mantel der Liebe, aber diese Liebe darf nicht identisch sein mit sinnlosem Gewähren jedes Wunsches, ob derselbe nun vernünftig oder nicht, ob er den Vermögensverhältnissen entspreche oder denselben diametral entgegengesetzt sei. Es ist durchaus kein Unglück, sondern vielmehr ein wahres Glück zu nennen, wenn das Kind beizeiten entsagen und Opfer bringen lernt, das Leben fordert beides. Ist man darin von Jugend auf geübt, so wird man es viel weniger schmerzlich empfinden, als wenn man in einer Treibhausatmosphäre aufgewachsen, für das wirkliche Leben unbrauchbar ist.
Der normale, gewissenhafte, denkende Mensch erzieht sich, im Grunde genommen, selbst, solange er lebt. Er ringt danach, immer besser, immer vollkommener zu werden, aber er tut dies nur, wenn von klein auf der Keim einer richtigen Erziehung in ihn gelegt wurde.
Verzogene Kinder werden selbstsüchtige Menschen, die mit dem eigenen »Ich« stets zufrieden sind und daher auf die Dauer ihre Umgebung kaum beglücken können.
Mag der Mann das schäkernde Treiben einer hübschen, selbstgefälligen Frau, die seine Schwächen auszunützen, ihm alles abzuringen, alles auszubetteln versteht, auch noch so niedlich finden, während der Dauer eines langen Menschenlebens, in dem die beiden nebeneinander herschreiten, wird früher oder später doch die Stunde schlagen, in der er erkennen lernt, daß die verzogene kleine Person, welche stets das von ihm zu erringen wußte, was ihr gerade genehm, nicht der treue Kamerad ist, an dem der Mann in Stunden des Leidens und der Not die entsprechende Stütze findet.
Besonders der weiblichen Jugend gegenüber erscheint es mir daher von größter Wichtigkeit, das Erziehen mehr im Auge zu haben wie das Verziehen, will man das Glück kommender Generationen sichern, denn mögen sich den Frauen auch noch so viele Berufszweige öffnen, mögen die frauenrechtlerischen Bewegungen auch noch so große Triumphe feiern, im Hause und in der Familie wird die Frau, wird das weibliche Wesen im allgemeinen, wenn es seinen Platz segenbringend ausfüllen will, doch immer dasjenige sein, welches das eigene »Ich« dem Wohle des Einzelnen oder der Gesamtheit zum Opfer zu bringen imstande ist, und das gelingt nur dann, wenn man kein verzogenes Salonpüppchen ist, sondern ein ernster, gediegener Charakter, welcher frühzeitig lernt, das eigene »Ich« hintanzusetzen, frühzeitig lernt zu entsagen und zu verzichten.
Schließlich kommt man darauf, daß in der Fähigkeit, dies zu können, mehr dauernde Befriedigung liegt, als in dem Kultus der »Ichliebe«, welcher das warmfühlende Herz in der Menschenbrust ertötet und jede idealere Lebensrichtung lähmt. »Besser vor immer was für Altären, als vor seines Ich's Altar zu knien.« Dieses erhabene Dichterwort muß jeder anerkennen, der gereift und ernst Umschau hält um und in sich.
Pflicht geübt mit festem Herzen
Bleibt allein auch ewig treu,
Sie allein heilt alle Schmerzen,
Sie allein macht Menschen frei.
Ernst v. Feuchtersleben.
Jeder Staubgeborene besitzt seine Fehler und Tugenden, seine Stimmungen und Charaktereigenschaften, aber auch jeder Zeitabschnitt, ob er nun in der Vergangenheit oder in der Gegenwart zu suchen ist, trägt ein besonderes Wahrzeichen an sich.
Wir Frühergeborenen sind zu einer Epoche herangewachsen, in der der Begriff »Pflicht« als Stempel der Zeit angesehen werden konnte. Wir wurden förmlich damit überfüttert, daß man uns von Pflichten redete und die Erfüllung derselben als ersten und gebieterischsten Faktor im irdischen Dasein hinstellte.
Der weitaus größte Prozentsatz der Menschen nahm ehemals das Leben sehr ernst! Man verdarb sich damit vielleicht manche Stunde, die man froh hätte genießen können, aber man war jedenfalls leistungsfähiger und gewissenhafter als die Jugend des 20. Säculums es in der Regel zu sein pflegt.
Die Gegenwart zeitigt Genußmenschen, was gleichbedeutend ist mit Unzufriedenen, denn wer vom Leben fordert, daß es uns nur Angenehmes biete, ohne selbst etwas zu leisten, kann auf die Dauer, selbst wenn er auf der Höhe des Lebens steht, weder befriedigt sein, noch andere befriedigen.
Man tadelt in der rasch pulsierenden Gegenwart jede Empfindung, die an eine idealere Lebensauffassung erinnert. Man nennt das Sentimentalität und Gefühlsduselei und glaubt, daß der Kultus des eigenen Ichs, das man auf ein Piedestal stellt, auf die Dauer befriedigen könne. Ich möchte dem aus vollster Herzensüberzeugung energisch widersprechen und bringe mein Glaubensbekenntnis in den Worten des persischen Dichters zum Ausdruck:
»Besser vor was immer für Altären,
Als vor seines Ichs Altar zu knien.«
Der Umstand, daß man uns in unserer Jugend vielleicht zu viel mit dem Pflichtkultus großgezogen hat, mag daran Schuld tragen, daß die Gegenwart in das entgegengesetzte Extrem übergegangen ist.
Heutzutage betrachten es die Alten als Lebenszweck, die Jungen zu verwöhnen, zu verhätscheln und sie naturgemäß für den Kampf mit dem Leben, dem früher oder später keiner entgeht, unbrauchbar zu machen. Man tut der heranwachsenden Generation damit nicht nur nichts Gutes, sondern man schädigt sie in der unverantwortlichsten Weise und richtet so durch das sinnlose Verwöhnen viel mehr Unheil an, als unsere Vorfahren durch ihre vielleicht allzustrengen Pflichtbegriffe angerichtet haben.
Kleine Ursachen, große Wirkungen! Das Kind, dem nicht schon in den allerersten Lebensjahren gewissenhafte Pflichterfüllung zur ersten und wichtigsten Lebensbedingung gemacht wird, das Kind, dem man nicht dartut, daß nur, wenn man seine Pflichten gut erfüllt hat, man auf Freude und Belohnung rechnen darf, wird im späteren Lebenslaufe ganz gewiß auch nie imstande sein, das eigene »Ich« mit all seinen Anforderungen hintanzusetzen, zum Wohle des Einzelnen oder der Gesamtheit.
Im Leben der Frau insbesonders spielt treue Pflichterfüllung und das Verständnis für diese eine unermeßlich große Rolle und zwar in jeder Lebenslage, ob man nun als miterwerbende Kraft in der Tretmühle des Daseins steht, oder ob man des Segens teilhaftig geworden, im engen Kreise der Häuslichkeit schalten und walten zu dürfen!
Treue, gewissenhafte Pflichterfüllung, das Verständnis für dieselbe und der gute Wille hierzu hilft über manches Minus an geistiger Auffassung hinweg und zwingt uns so viel Wertschätzung ab, daß wir gerne bereit sind, diese oder jene kleinen Schwächen zu übersehen.
Es gibt Menschen, denen die Pflichterfüllung im Blute liegt, die gar nicht anders können, als mindestens all das zu tun, was ihnen obliegt, in den meisten Fällen aber auch noch ein Uebriges leisten und mehr tun, als man berechtigter Weise von ihnen fordern kann. Solche Menschen tragen nicht den Stempel der »Modernen« an sich und werden immer mehr und mehr als eine außer Kurs geratene Münze bezeichnet werden müssen, wenn die Strömung, die jetzt so sehr überhand genommen hat, sich weiter Geltung verschafft und der Vergnügungstaumel zunimmt, den vorzüglich unter den oberen Zehntausend so viele als Lebensaufgabe betrachten, während er, im Grunde genommen, viel ernüchternder ist als ernste, zielbewußte Arbeit, die ihre Befriedigung in dem Bewußtsein findet, Nutzbringendes zu schaffen und seinen Mitmenschen Gutes zu tun.
Es ist ein schweres Unrecht, das man gegen die heranwachsende Generation begeht, wenn man es unterläßt, ihr die Pflichterfüllung als heiligstes Lebensgebot hinzustellen. Jene, denen eine liebende Mutter, eine treue Lehrerin oder Erzieherin schon in der Kinderstube den Begriff beigebracht hat, daß die Erfüllung der uns auferlegten Pflichten, seien dieselben nun groß oder klein, bedeutend oder unbedeutend, ein Gebot der Ethik ist, jene Menschen werden ganz gewiß nie auf der abschüssigen Bahn zugrunde gehen, auf der so viele straucheln, fallen und ihr Verderben finden. Jeder Staubgeborene, sei er nun vornehm oder gering, hat Pflichten, die ihm obliegen; nichts ist so klein oder so unbedeutend, daß es sich nicht der Mühe verlohnen würde, es gewissenhaft auszuüben.
Arm und bedauernswert sind nur jene, die sich mit dem Platz, an den das Schicksal sie gestellt, nicht abfinden, sich mit diesem nicht zufrieden geben können, sich für anderes geboren wähnen und auf der Suche nach Zielen, die ihnen nicht gesteckt sind, den Weg übersehen, der ihnen gewiesen wurde und auf dem sie Befriedigendes leisten könnten.
»Willst du immer weiter schweifen,
Sieh' das Gute liegt so nah',
Lerne nur das Glück ergreifen,
Denn das Glück ist immer da.«
Dieses erhabene Dichterwort birgt die höchste Lebensweisheit in sich, denn mag man die Sache von was immer für einer Seite beleuchten, wahres, dauerndes Glück liegt doch immer nur in treuer Pflichterfüllung. Weder Reichtum noch glänzende Stellung vermögen auf die Dauer zu befriedigen, wenn sich mit diesen Dingen nicht das Bewußtsein paart, ganz und voll das leisten zu können, leisten zu wollen und geleistet zu haben, was nun einmal unsere Lebensmission ist. Der Mensch vom ethischen Wert muß früher oder später zu moralischem Katzenjammer erwachen, wenn er zur Erkenntnis dessen kommt, daß er in irgend einer Weise den ihm zufallenden Pflichten nicht nachgekommen, und ein Krebsschaden der modernen Zeit ist die Unzufriedenheit mit der Lebenslage, in der man sich befindet, diese Unzufriedenheit, die liebevoll großgezogen und an die Stelle korrekter Pflichterfüllung gestellt wird. Mehr haben wollen als man hat, mehr sein wollen als man ist, das ist das Feldgeschrei der Modernen, dem manches Menschenleben und manches Menschenglück zum Opfer gefallen.
Blickt man mit sehendem Auge um sich, so muß man sehr bald zu der Ueberzeugung kommen, daß der Mangel an Pflichtgefühl in großen wie in kleinen Dingen tief eingreift in das ganze menschliche Leben; ja, daß die so viel erörterte und besprochene soziale Frage eng damit verwoben ist und nicht diese allein wird von ihm berührt, auch im kleinen Kreise der Häuslichkeit, in der jede Frau mehr oder minder beschäftigenden Dienstbotenmisere, spielt der Mangel an Pflichtgefühl eine große Rolle.
Daß ein Dienstmädchen, wie es bei unseren Vorfahren der Fall gewesen, Jahrzehnte, ja ein Menschenalter hindurch immer in der gleichen Familie weilt, ist jetzt ein Fall, der als eine »Rara avis« bezeichnet werden muß, während früher in fast jedem besseren Hause ein solches Faktotum bestanden hat, das Freud und Leid mit seinen Brotgebern teilte und für das Gefühl empfänglich war, daß alles auf Erden ein Tauschgeschäft und man zu treuen Diensten verpflichtet sei, wenn man gut und treu behandelt wird. Ob jene das Rechte tun, die der nur allzu bereitwillig lauschenden Menge moderne Tendenzen predigen und den Geist der Unzufriedenheit großziehen, anstatt darauf hinzuweisen, daß treue Pflichterfüllung der Keim ist, aus dem befriedigende Saat hervorgeht, möchte ich wohl sehr stark bezweifeln. Man gewinnt nichts durch stete Unzufriedenheit mit dem Schicksal, durch Hader mit den Verhältnissen, sondern man verliert vielmehr. Nichts vermag uns so sehr die Heiterkeit des Gemütes, die Abgeklärtheit des Geistes, die Ruhe des Herzens zu geben als die Erkenntnis, daß man sich sein Leben lang die Selbstachtung gewahrt hat, die aus dem Bewußtsein treu erfüllter Pflicht hervorgeht. Fehler, Schwächen, kleine Torheiten mag jeder Staubgeborene besitzen und begehen, aber wenn man das Gefühl hat, weder vor einem höheren Richter noch vor einem reinen Kinderauge den Blick beschämt zu Boden schlagen zu müssen, wenn man nichts getan hat, was der ethischen Auffassung unwert, wenn man treu, ganz und voll seine Pflicht übt und mehr als diese, so ist das nach der idealen Lebensauffassung, die, trotz allem, was die Realisten perorieren mögen, das höchste bleibt, das wir anstreben sollen, eine weit größere Befriedigung, als wenn wir in Selbstbemitleidung und Selbstüberschätzung jene beneiden, die mehr haben oder mehr sind als wir und uns in törichter Verblendung der Erkenntnis verschließen, daß treue Pflichterfüllung das Hauptziel ist, dem der Mensch nachstreben soll, will er sich den Lebensfrieden sichern.
Wenn man vorurteilslos und ohne Leidenschaft im Leben um sich blickt, so wird man sich ganz gewiß sagen müssen, daß die Strömung der Jetztzeit, diese steigende Sucht nach Genuß, zu nichts Gutem führen kann, daß es den Menschen die Bürde des Lebens in keiner Weise erleichtert, wenn man den Geist der Unzufriedenheit in ihnen großzieht und ihn an die Stelle jenes Verständnisses für treue Pflichterfüllung setzt, das den Frühergeborenen zur zweiten Natur geworden, das sie übten, weil sie es mit der Muttermilch eingesogen hatten. Vom Schicksal wenig begehren und leisten was in unseren Kräften steht ist der sicherste Weg zu reinem Glück:
»Besser vor was immer für Altären
Als vor seines Ichs Altar zu knien.«