Franz von Stuck – Kiss of the Sphinx
I.
Es war einmal im Erdenraum
Ein junger, stolzer Königssohn,
Er glich dem schlanken Tannenbaum
Der hoch im Wald des Berges Krön'.
Zur Gattin aus dem Dorfe nahm
Er sich ein Mägdlein wundersam,
Ein kleines Bauern-Mägdelein,
Das aller Nachbarn Schätzelein,
Mit süssem, leuchtendem Gesicht,
Mit einem Leib, so schlank und schmiegsam,
Wie sind in Gottes Sonnenlicht
Des Feldes Blumen, duftig, biegsam.
Da ist Befehl ihm zugegangen
In's Lager eilend aufzubrechen. –
Wie ward die Seele ihm vol Bangen
Drum that zur Maid er also sprechen:
»Geliebte mein, Du Seele mein,
Behalte Du mein Ringelein
Und trag' es auf dem Finger Dein,
Und wenn von Rost der Ring wird roth,
Dann weisst Du, Liebe, bin ich todt!«
»Und lässt Du mich im Schmerz allein,
So nimm den seid'nen Schleier mein,
Am Rande golddurchwirket fein,
Wenn schmiltz das Gold so schon und roth,
Dann weisst Du, Trauter, bin ich todt.«
II.
Auf seinem Pferde reitend fort
Zog er darauf den Weg von dannen,
Und ritt und ritt bis an den Ort,
Inmitten dunkler Waldestannen,
Und hat ein grosses Feuer dort
Am Rabenbrunn gefacht zum Brand,
Führt an den Schleier seine Hand
Und schaut ihn innig an so lang, –
Bis ihm das Herz vor Weh fast sprang.
»Ihr Lieben mein, Ihr meine Heere,
Ihr Drachenkinder, Landeswehre,
Verweilet hier und nähret Euch,
Und ruht im schattigen Gesträuch,
Ich muss nach Hause eilend fort,
Den krummen Säbel liess ich dort,
Ich kann ja ohne den nicht kriegen,
Auf grünem Tisch liess ich ihn liegen.«
Betrübt ist er zurückgekehrt,
Da kommt ein Tapf'rer ihm entgegen,
Ein Tapferer auf kleinem Pferd:
»Glück zu! mein junger Held, verwegen,
Von wannen bringst Du Kunde werth?«
»Und soll ich's, Herr, Dir wirklich sagen?
Vielleicht ist's einem andern recht –
Für Dich ist's bitter sehr und schlecht:
Es überzog in diesen Tagen
Dein Vater unser ganzes Land,
Bis die Geliebte Dein er fand,
Und warf, o Herr, sie, Dir zum Leid,
In einen Sumpf gar tief und breit.«
»Hier, nimm mein Ross, Du Tapf'rer, mit,
Und führ' es meinem Vater hin,
Wenn er dann fraget, wo ich bin,
So sag', ich sei mit raschem Schritt
Dem Rand des Wassers zugestiegen
Hab' mich hineingestürzt, darin
Bei dem geliebten Kind zu liegen.«
III.
Den Sumpf zu trocknen, aufgeboten
Hat der Vater nun das Land,
Bis er die Kinder, ach! die todten
Verschlungen in einander fand,
Dahingestreckt auf gelbem Sand,
Ihr Angesicht so freuderfüllt
Als sei'n sie Beide noch am Leben
Da musst' vor Reue er erbeben,
Hat weich in Seide sie gehüllt,
Führt' in die Kirche sie bewegt,
Hat in zwei Särge sie gelegt,
Der kaiserlichen Särge Holz
Latein'sche Zeichen trug es stolz,
Und in Altaresnähe haben
Nach Osten sie dann seinen Knaben,
Nach Westen hin die Maid begraben.
Doch, denk' Dir, seinem Grab entsteigt
Ein Tannenbaum, gar schlank und biegsam,
Der nach der Kirche zu sich neigt,
Und eine Rebe, blühend, schmiegsam
Aus ihrem Grabe ist entsprungen,
Und eh' die Nacht sich ausgebreitet,
Sie auf die ganze Kirche gleitet
Und hat die Tanne fest umschlungen.
* * *
O! Donn're, Herr! herab und wett're,
O? Donn're nieder, die zerschmett're,
Die heisse Lieb' geschieden haben
Von einer Maid und einem Knaben.
Vorlage: siehe unter der Übersetzerin Carmen Sylva unter Faksimiles/Digitalisate.