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24. Oktober 2009

Anton Matthias Sprickmann – Die Liebe – An Doris.     Zur Biographie


aus: Lyrische Anthologie, Herausgegeben von Friedrich Matthisson, Elfter Theil, Orell Füssli und Compagnie, Zürich, 1805, S.134ff.


20091024_John William Godward - A Cool Retreat

John William Godward – A Cool Retreat


Ich sähe dich. In menschlicher Gestalt
Glaubt' ich der Engel Schönsten zu erblicken;
Ich fühlte tief, mit himmlischem Entzücken,
Der Schönheit reitzende Gewalt.
Den Himmel sah' ich ganz in deinen Blicken,
Der Andacht feierliche Majestät
Auf dieser Stirn', auf diesen Wangen,
Auf denen nie ein sträfliches Verlangen
Erröthete; ein heiliges Gebet
Entquoll dem unentweihten Munde,
Den schöner nie ein Sterblicher geküßt.
Wie feurig floß, in dieser selgen Stunde,
Mein jugendliches Blut! So fließt
Es mir, wenn mich die reinste Freundschaft küßt.
Was wart ihr, räthselhafte Triebe?
Zwar feurig, doch, nun fühl' ichs, noch nicht Liebe.
Ich sah', o Doris, dich im Tanz
Beim ländlich, frohen Feste;
Wie leicht flogst du dahin! leicht, wie die junge Weste
Durch deiner Locken frischen Kranz.


Ich sah nur dich: So sieht ein Gott, im Haine
Cytherens lauschend, bei dem blassen Scheine
Des Mondes, unter Grazien
Und Nymphen nur Cytheren gehn.
Ich mischte selbst mich in die Reihen:
Du reichtest mir die sanfte, warme Hand.
Wie hüpfte da mein Herz! zu furchtsam, diese Hand
Mit kühnen Lippen zu entweihen,
Fühlt' ich — o! nie hat es ein Sterblicher genannt,
Was mir durch jede Nerve bebte.
Das fühlte nie, wenn Götterlust
Sein ganzes Wesen neu belebte,
Des glücklichen Adonis Brust.
Was wart ihr, räthselhafte Triebe?
Zwar feurig, doch, nun fühl' ichs, noch nicht Liebe.


Ich hörte dich. Mit himmlischem Gesang
Hört' ich der süßen Laute Saiten
In süßren Tönen dich begleiten.
So zärtlich strömte nie der Silberklang
Aus Philomelens Zauberkehle.
Ha! wie mir da durch die entzückte Seele
Der himmlische Akkord der Liebe drang!
Wie jede Sait' in meinem Herzen
Die gleichgestimmte Saite fand!
Wie die Entzückung mich, vermischt mit süßen Schmerzen,
An dich mit Rosenketten band!
Was wart ihr, räthselhafte Triebe?
Zwar feurig, doch, nun fühl' ichs, noch nicht Liebe.


Nacht war es: Eine heitre Nacht!
Wie Unschuld an der Mutter Busen lacht,
So lachte durch die sanfte Stille,
Aus zarter Silberwolken Hülle,
Diana vom Olymp herab ;
Und staunend, ganz Gefühl, saß ich in dieser Laube,
Wo, Schwermuth girrend, eine Turteltaube
Mir neuen Sinn für Liebe gab.
Da nahtest du, und eine fromme That
Verschönte deine Rosenwangen.
Ich sah' es, ungesehn, wie mit dem bangen,
Unsichern Tritt, die Armuth zu dir trat.
Ich hörte deinen Trost, sah durch die Engelshand
Die Leidende der Noth entwandt.
Nun hört' ich ihren letzten Segen;
Wie majestätisch einsam standst du da!
Wie lachte die Natur, die deine Thränen sah,
Gerührt in stiller Schönheit dir entgegen!
Da fiel ich dir voll Anbetung zu Füßen,
Sah' in dein Himmelsangesicht
Jungfräuliches Erröthen fließen!
O dies Entzücken beßrer Welten spricht
Selbst eines Seraphs Zunge nicht!
Heil euch, ihr nicht mehr räthselhaften Triebe!
Dies warst du ganz, ich fühl' es, Göttin Liebe!




20091024_Anton Matthias Sprickmann - Die Liebe - An Doris.

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20091024_Anton Matthias Sprickmann - Die Liebe - An Doris.